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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Augenblick sprachlos, dann wiederholte er:
    »Nichts zu essen… Ihr bezahlt eure Nahrung?… Ja, wohnt Ihr denn nicht mehr bei Hartlepool?
    – Ja, Gouverneur, aber das ändert nichts an der Sache!«
    Dick blies seine Wangen auf, dann ahmte er den Kawdjer selbst nach mit einer Treue, daß man hätte irregeführt werden können:
    »Die Arbeit ist ein Gebot!« Er brachte die wenigen Worte mit unbezahlbarem Ausdruck vor.
    Sollte der Kawdjer lachen oder sich ärgern… Er entschied sich fürs Lachen. Es blieb ihm schlechterdings kein anderer Ausweg, denn es lag Dick ferne, Spott treiben zu wollen. Warum sollte er diese Kinder tadeln, die darauf bedacht waren, sich »durchzubringen«, während so viele Erwachsene diese Sorge gerne anderen überlassen hätten.
    Er fragte:
    »Bringt euch denn die »Arbeit« genug für euren Lebensunterhalt ein?
    – Natürlich, erklärte Dick mit wichtiger Miene. Wir verdienen zwölf, manchmal sogar fünfzehn Cents täglich, Gouverneur! – Damit kann ein Mann schon sein Auskommen finden!«
    Ein Mann!… Die Umstehenden brachen in lautes Lachen aus. Dick sah beleidigt auf die Lacher.
    »Was gibt es denn da zu lachen?… Dummköpfe!« murmelte er zwischen den Zähnen und sah sehr geärgert aus.
    Der Kawdjer brachte wieder die Rede auf seine Arbeitsleistung:
    »Fünfzehn Cents ist in der Tat eine ganz hübsche Summe, sagte er anerkennend; ihr würdet aber mehr verdienen, wenn ihr den Maurern oder den Wegarbeitern helfen würdet.
    – Das ist unmöglich, Gouverneur, sagte Dick lebhaft.
    – Warum unmöglich? fragte der Kawdjer.
    – Sand ist zu klein; er ist auch nicht kräftig genug, erklärte Dick, dessen Stimme zärtliche Sorge verriet, wobei es aber wie ein Schatten von Verachtung durchklang.
    – Nun, und du?
    – O… ich!«
    Den Ausdruck mußte man gehört haben! Er, er war stark genug, selbstverständlich. Daran zweifeln, hieße ihn beleidigen.
    »Nun?…
    – Ich weiß nicht recht… stammelte Dick ganz traumverloren. Es sagt mir nicht zu«…
    Dann brach es von seinen Lippen:
    »Ich, Gouverneur, ich liebe die Ungebundenheit zu sehr!«…
    Der Kawdjer betrachtete mit Interesse diesen kleinen Mann, der barhaupt, mit vom Winde zerzausten Haaren vor ihm stand, aufrecht, ohne die glänzenden Augen zu Boden zu schlagen. Er erkannte sich in dieser groß angelegten, aber überschwenglichen Kindesseele wieder. Auch er hatte über alles die Freiheit geliebt, auch er hatte ungeduldig jede Einschränkung abzuschütteln versucht und der Zwang war ihm schließlich so hassenswert geworden, daß er seinen Haß auf die ganze Menschheit übertragen hatte. Die Erfahrung hatte ihn über seinen Irrtum belehrt, indem sie ihm den Beweis lieferte, daß die Menschen durchaus nicht von einem unstillbaren Durste nach Freiheit erfüllt sind, wie er geglaubt hatte, daß sie im Gegenteil ein Joch, das sie erst zum Bewußtsein des rechten Lebens bringt, lieben, und daß es für große wie für kleine Kinder oft gut ist, wenn ein höherer Wille sie beeinflußt.
    Er erwiderte:
    »Die Freiheit muß man sich erst erobern, mein Kind, indem man sich den anderen und sich selbst nützlich zu machen sucht, und um dies durchführen zu können, muß man mit dem Gehorchen anfangen. Ihr werdet jetzt in meinem Auftrage zu Hartlepool gehen und ihm sagen: ich wünsche, daß er euch nach euren Kräften und Fähigkeiten eine Beschäftigung zuweist. Ich werde übrigens Sorge tragen, daß Sand seine musikalischen Studien weiter betreiben kann. Geht, Kinder!«
    Dieser Vorfall lenkte die Gedanken des Kawdjer auf ein Gebiet, das sehr zu beachten war. In der Kolonie wimmelte es von Kindern. Unbeschäftigt, der Aufsicht ihrer Eltern entzogen, lungerten sie von früh bis abends überall herum. Um ein Volk zu bilden, zu gründen, mußte man schon jetzt für künftige Generationen vorarbeiten, die das Erbe der jetzt Lebenden antreten würden. Die Notwendigkeit der Errichtung einer Schule wurde ihm klar und sie mußte bald geschaffen werden.
    Aber wer kann alles gleichzeitig vollbringen! So wichtig die Lösung dieser Frage war, er mußte sie bis zu seiner Rückkehr von einer Wanderung, die er durch das Innere der Insel zu unternehmen gedachte, aufschieben. Seitdem er die Lasten seines Amtes auf sich genommen hatte, war diese Inspektionsreise von ihm ins Auge gefaßt worden, aber wichtigere Geschäfte hatten den Tag der Ausführung des Projektes immer wieder hinausgeschoben. Jetzt konnte er sich für einige Zeit entfernen, ohne sich einer

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