Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Mehrzahl war jetzt um das Regierungsgebäude – wie alle es bezeichneten – gruppiert. Die vierzig zunächstgelegenen beherbergten die vierzig verheirateten Männer und deren Familien, welche die Polizei der Insel ausmachten und mit Gewehren versehen waren. Die acht noch vorhandenen Gewehre wurden in einem zwischen der Wohnung des Kawdjer und Hartlepools gelegenen Raume niedergelegt und Tag und Nacht bewacht; die Pulvervorräte waren in dem in der Mitte des Regierungsgebäudes befindlichen Depot aufbewahrt, das keinen Ausgang auf den Platz aufwies.
Unweit davon stand der Bazar »Rhodes«, dieser gab Karroly Anlaß zu größtem Staunen. Keines der Geschäfte in Punta-Arenas – das war die einzige Stadt, die er kannte – übertraf ihn in seinen Augen an Prächtigkeit. – Im Osten und Westen schritt die Arbeit munter vorwärts. Dort, wo die letzten Häuser erstehen sollten, applanierte man den Boden, und überall, wohin der Blick reichte, war man tätig. Auch andere Häuser, teils aus Holz, teils aus Stein, wuchsen aus dem Boden.
Zwischen den nach einem bestimmten Plan, der keiner individuellen Phantasie Spielraum ließ, errichteten Häusern kreuzten sich gerade verlaufende Straßen in rechten Winkeln; sie waren so breit angelegt, daß sich vier Wagen bequem begegnen konnten. Zwar waren sie noch ziemlich uneben und weich, aber durch die häufige Benützung härtete sich der Boden von Tag zu Tag. Die Straße, die Liberia mit Neudorf verbinden sollte, war schon über das Sumpfland geführt und hatte das Flußufer erreicht, an welchem mächtige Steinhaufen lagen, denn es sollte statt des leichten Holzsteges eine wahrhafte steinerne Brücke geschaffen werden.
Neudorf war jetzt fast ganz verlassen. Außer vier Matrosen des »Jonathan« und drei anderen Kolonisten, welche sich auf den Fischfang verlegt hatten, waren alle ehemaligen Bewohner nach Liberia gezogen, wo sie ihre Beschäftigungen erwarteten. Neudorf wurde somit ein ausschließlicher Fischerhafen, die Boote fuhren jeden Morgen hinaus ins Meer, um spät abends mit Fischen beladen heimzukehren, die leicht Abnehmer fanden.
Aber trotzdem die Einwohnerzahl Neudorfs sich bedeutend verringert hatte, wurde keines seiner Häuser abgebrochen. Der Kawdjer wollte es nicht. So stand auch noch Karrolys Behausung und groß war die Freude des Indianers, Halg fast geheilt darin anzutreffen.
Einen schweren Kummer bildete für ihn die Abwesenheit des Kawdjer, dessen neuer Wirkungskreis die langjährigen Hausgenossen auf immer trennte. Es war vorbei, das gemeinsame Leben so vieler Jahre!… Wie verändert er war!… Als er den treuen Indianer fortschickte, hatte kaum ein Lächeln seine Züge erhellt, kaum hatte er für wenige Minuten seine fieberhafte Tätigkeit unterbrochen.
An diesem Tage – wie an allen anderen – nachdem der Kawdjer die Morgenstunden dazu verwendet hatte, die laufenden Geschäfte zu erledigen, untersuchte er die Lage der Kolonie inbezug auf den finanziellen Standpunkt sowohl als mit Rücksicht auf die noch zur Verfügung stehenden Lebensmittel, dann ging er zu der neuen Straße.
Er kam gerade zur Ruhepause. Spitzhacken und Spaten ruhten, die meisten der Wegarbeiter lagen auf der Erde und schlummerten ein wenig; andere kauten langsam an ihrer Ration und wechselten wenige nichtssagende Worte. Als der Kawdjer vorbeikam, richteten sich die Leute aus ihrer bequemen Lage auf, die Gespräche verstummten und alle lüfteten ihre Mützen, indem sie diese Bewegung mit freundlichem Gruß begleiteten.
»Guten Tag, Gouverneur,« sagte einer nach dem anderen dieser rauhen Männer.
Ohne sich aufzuhalten, grüßte der Kawdjer mit der Hand.
Schon hatte er die Hälfte des Weges zurückgelegt, als er unweit des Flusses eine Menschengruppe bemerkte, vielleicht hundert Personen, darunter einige Frauen. Er beschleunigte den Schritt und war mehr als erstaunt, als plötzlich die Klänge einer Geige an sein Ohr trafen.
Eine Geige?… Es war das erste Mal, daß seit dem Tode Fritz Groß’ Geigenklänge über die Insel Hoste zogen!
Da erblickte er ungefähr hundert Frauen… (S. 303.)
Er schloß sich den Leuten an, deren Reihen sich vor ihm sogleich öffneten. In der Mitte standen zwei Kinder. Einer der beiden spielte, ziemlich linkisch übrigens. Während dieser Zeit stellte der andere aus Weidenruten geflochtene Körbe auf den Boden nieder, die mit Feldblumensträußen gefüllt waren: Kreuzwurz, Heidekraut und Stechpalmenzweige waren darin zu sehen.
Dick und
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