Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Eingeborner, Wilder war, konnte infolgedessen nicht zu den eigentlichen Menschen gezählt werden. Der Gedanke kam ihr nie, daß jemals zwischen diesem erotischen Geschöpf, welches notdürftig mit Tierfellen bekleidet war, und ihr, der Italienerin, welche sich höherer Abkunft dünkte, ein gemeinsames Band bestehen könne.
Aber nach und nach gewöhnte sie sich an das Aussehen und die Tracht ihres schüchternen Verehrers und es kam so weit, daß sie ihn mit denselben Augen betrachtete wie die jungen Leute ihrer Rasse. Halg tat seinerseits sein Möglichstes, um diese Ideenwandlung in ihr zu bewerkstelligen.
Eines schönen Tages sah sie ihn mit nach allen Regeln der Kunst geschnittenen Haaren erscheinen, die sich durch eine von geschickter Hand gezogene Mittellinie in zwei Scheitel teilten. Bald darauf zeigte sich Halg zu ihrem noch größeren Staunen in europäischer Kleidung, in Beinkleidern, Rock und Schuhen, nichts fehlte an der Toilette. Natürlich war alles einfach und aus grobem Stoffe, aber nach Halgs Überzeugung war er nach höchster Eleganz gekleidet und er bewunderte sich oft und gerne in einem kleinen Spiegelsplitter, der vom »Jonathan« stammte.
Welchen Scharfsinn hatte er ins Werk setzen müssen, um einen gutwilligen Menschen unter den Emigranten zu entdecken, welcher sich herbeiließ, sein Haupt zu verschönern, und wie schwer war es ihm gefallen, den herrlichen Anzug zusammenzustellen, in dem er sich ganz unwiderstehlich vorkam! Schon lange hatte er nach diesen Kleidungsstücken gefahndet und trotzdem wären alle seine Bemühungen umsonst gewesen, wenn er sich nicht zufällig mit Patterson hätte ins Einvernehmen setzen können. Patterson verkaufte alles Mögliche und der Geizhals hätte niemals die Gelegenheit zu einem wenn auch noch so kleinen Gewinn an sich vorübergehen lassen. Wenn er den verlangten Gegenstand nicht besaß, wußte er ihn sich immer zu verschaffen, eroberte ihn irgendwo, wobei er sich natürlich einen kleinen Gewinn sicherte. Patterson hatte die verlangten Kleidungsstücke beschafft. Aber der Ankauf hatte alle Ersparnisse des jungen Mannes verschlungen.
Er bedauerte dies aber nicht, denn er hatte schon den Lohn seines Opfers empfangen. Das Benehmen Graziellas war ihm gegenüber plötzlich ein ganz anderes geworden. Nach ihrer Einteilung hörte Halg von nun an auf, ein »Wilder« zu sein und war in die Klasse der »Menschen« zu rechnen.
Jetzt ging seine Angelegenheit mit Riesenschritten vorwärts und die gegenseitige Zuneigung erstarkte mit jedem neuen Tag in den beiden jungen Herzen. Harry Rhodes hatte recht. Halg war, wenn man dem eigentümlichen Typus seiner Rasse Rechnung trug, wirklich ein hübscher Junge. Er war groß und kräftig, an das freie Leben in freier Luft gewöhnt und besaß jene natürliche Anmut der Haltung und des Auftretens, die durch die Geschmeidigkeit der durch Übung gestählten Glieder und die harmonische Ruhe der Bewegungen bedingt ist. Außerdem waren seine Geisteskräfte durch die Lehren und Beispiele des Kawdjer sehr entwickelte und in seinen Augen stand Herzensgüte und ein offener Charakter geschrieben. Das war mehr als genug, um auf das Herz eines jungen, im Unglück groß gewordenen Mädchens tiefen Eindruck zu machen.
Von dem Tage an, seit welchem sich Halg und Graziella, ohne ein Wort über ihre Liebe gesprochen zu haben, als Verbündete erkannten, verliefen die Stunden gar rasch. Was machten ihnen die Winterstürme! Was kümmerte sie die herrschende Kälte! Die Unbilden des Wetters verurteilten sie zu einer willkommenen Abgeschlossenheit und sie fürchteten das Nahen der günstigen Jahreszeit, anstatt sie herbeizuwünschen.
Und doch trat schönes Wetter ein. Die übrigen Auswanderer, welche nicht gleiche Ursache hatten, es zu fürchten, freuten sich des Wechsels und begrüßten die warmen Tage freudig. Wie von einem Zauberstab berührt, belebte sich das Lager. Häuser und Zelte leerten sich. Während die Männer ihren durch die lange Absperrung steifgewordenen Gliedern Bewegung gönnten, eilten die Frauen, ganz glücklich, Freundinnen und Bekannte wieder aufsuchen und begrüßen zu können, von Tür zu Tür, machten Besuche und knüpften neue Freundschaften.
Karroly nahm die schönen Tage wahr, um mit den Ausbesserungsarbeiten an der Wel-kiej zu beginnen, mit Zuhilfenahme der Zimmerleute, welche ihm schon das erste Mal beigestanden waren. Die Bauleute mußten auch alle Vorarbeiten selbst vornehmen: das Fällen der Bäume, das Schneiden
Weitere Kostenlose Bücher