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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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begabt; das heißt mit anderen Worten: es hatte ihm die Mittel in die Hand gegeben, alles erwerben zu können, was ihm seit seinem Erscheinen auf dieser Welt begehrenswert schien. Dank dieser Eigenschaften hatte er sich bereits im Alter von fünfundzwanzig Jahren ein bedeutendes Vermögen erworben. Nichts hatte ihn von der Erreichung dieses Zieles abgeschreckt, weder die angestrengteste Arbeit, noch die Entbehrungen eines Einsiedlers, noch – wenn es die Notwendigkeit erforderte – die rücksichtslose Ausbeutung des lieben Nächsten.
    Aber wenn der Bauer nur Spekulationsgeist und kein Kapital als Basis seiner Operationen zur Verfügung hat, so wird er nur langsam, Schritt für Schritt, auf der Bahn des Gelingens weiterschreiten können. Sein Wirkungskreis ist zu beschränkt, um ihm ein rasches Emporsteigen zu ermöglichen.
    So brachte es Patterson nur langsam vorwärts trotz seiner unerschütterlichen Ausdauer, trotz der unzähligen Entbehrungen, trotz aller aufgebotenen List und Verschlagenheit – als plötzlich Wundermären an sein Ohr drangen, wie leicht es einem Manne von skrupellosem Gewissen in Amerika werde, sein Glück zu machen. Ganz berauscht von diesen blendenden Berichten, träumte er nur mehr von der Neuen Welt und beschloß, dahin auszuwandern nach dem Beispiel so vieler anderer, um sich dort das Glück zu zwingen, und zwar nicht mit der Absicht, es jenen Milliardären gleich zu tun, welche, wie er, aus den ärmsten Schichten des Volkes stammten, sondern in der Hoffnung, die ja nicht allzu unwahrscheinlich war, dort eher auf einen grünen Zweig zu kommen als im alten Vaterlande. Kaum hatte er amerikanischen Boden betreten, als die glückverheißende Reklame der »Gesellschaft für Kolonisation« ihn für die Teilnahme an der Ansiedlung in der Delagoa-Bai begeisterte. Er vertraute den verführerischen Versprechungen der »Gesellschaft« und sagte sich, daß dort, auf dem noch unberührten, kraftstrotzenden Boden sein kleines Kapital reiche Früchte tragen werde, und bald war er mit den tausend anderen auf dem »Jonathan« eingeschifft.
    Die unvorhergesehenen Ereignisse trübten zwar seine Hoffnungen um ein Bedeutendes, aber Patterson gehörte nicht zu denjenigen, die gleich die Flinte ins Korn werfen. Trotzdem die Tatsache des Schiffbruches ihn innerlich tief erschüttert haben mußte, ließ er sich die Enttäuschung nicht anmerken und hielt mit geduldiger Hartnäckigkeit an der Zuversicht auf sein Glück fest. Wenn aus dem gemeinsamen Unglück ein einziger Nutzen ziehen konnte, so war es unstreitig Patterson.
    Von Blaker und Long unterstützt, hatte er sein Häuschen in geringer Entfernung von der Küste dicht am Flußufer errichtet, an der einzigen Stelle, wo dieses zugänglich war. Stromaufwärts von hier aus stieg das Ufer plötzlich steil empor und wuchs zu einer fast fünfzehn Meter hohen Felswand an, stromabwärts bildete es eine kleine Ebene vor dem Hause, dicht daneben stürzte der Fluß in einem Wasserfall auf eine tiefer gelegene Terrasse. Zwischen dem Wasserfall und dem Meere breitete sich ein unwegsamer Sumpf aus. Wollten die Emigranten nicht einen Umweg von mehr als einer Stunde nach dem Oberlaufe des Flusses machen, so waren sie gezwungen, an Pattersons Wohnung vorbeizugehen, um ihre Wasserkrüge und -fässer zu füllen.
    Die anderen Häuser und Zelte lagen in malerischer Unordnung zerstreut da, vom Meere durch den erwähnten Sumpf getrennt. Der Kawdjer bewohnte mit Halg und Karroly eine Ajoupa nach feuerländischem Muster, die von den beiden Indianern errichtet worden war. Man konnte sich nichts Einfacheres denken, als diese aus Gras und Zweigen erbaute Hütte und man mußte sehr abgehärteter Natur sein, um darin den Winter zu überdauern. Die Ajoupa war am linken Flußufer gelegen, in nächster Nähe der gescheiterten Schaluppe, so daß alle lichten Momente des Tages zu den notwendigen Reparaturen gut ausgenützt werden konnten.
    Während der ersten zwei Wochen der gefürchteten Jahreszeit, als die Schneestürme in voller Heftigkeit wüteten, konnte allerdings nichts an der Wel-kiej gearbeitet werden. Aber der Kawdjer führte deshalb kein abgeschlossenes Einsiedlerleben wie die weniger widerstandsfähigen Auswanderer. Täglich ging er mit Halg über den Fluß ins Lager, auf einer leichten Brücke, die Karroly in achtundvierzig Arbeitsstunden konstruiert hatte.
    Dort gab es immer viel zu tun. Mit dem Eintritt der Kälte waren Krankheiten bei den Emigranten aufgetreten, schmerzhafte

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