Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Entzündungen, meist der Bronchien, die aber alle einen günstigen Verlauf nahmen; man hatte gleich den Kawdjer zu Hilfe gerufen, welcher sich seit der chirurgischen Behandlung des gestürzten Knaben als Arzt eines sehr guten Rufes erfreute.
Das Kind fühlte sich täglich wohler und alle Anzeichen sprachen dafür, daß die günstige Prophezeiung des Kawdjer sich buchstäblich erfüllen würde.
Nachdem dieser seine täglichen Krankenbesuche gemacht hatte, trat er in das Zelt der Familie Rhodes und besprach mit Harry eine oder zwei Stunden lang alles, was für die Schiffbrüchigen von Interesse sein konnte. Der Kawdjer schloß sich immer mehr an diese Familie an. Die einfache Freundlichkeit und Güte der Frau Rhodes und ihrer Tochter Clary taten ihm wohl; beide übten voll Aufopferung das Amt von Krankenpflegerinnen aus, das er ihnen zugewiesen hatte. In Harry Rhodes schätzte er den geraden Sinn und die wohlwollende Gemütsart und bald verbanden die beiden Männer Gefühle wahrer Freundschaft.
»Eigentlich freut es mich herzlich, sagte Harry Rhodes eines Tages zum Kawdjer, daß diese Schurken versuchten, sich Ihrer Schaluppe zu bemächtigen. Wer weiß? Wenn sie in gutem Stand geblieben wäre, hätten Sie uns jetzt, da wir eingerichtet sind, vielleicht verlassen. Aber nun ist das unmöglich, Sie sind unser Gefangener!
– Und dennoch werde ich fort müssen, sagte der Kawdjer.
– Nicht vor Eintritt des Frühjahres, erwiderte Harry Rhodes. Sie müssen doch einsehen, daß Sie unentbehrlich sind; wieviele Frauen und Kinder sind hier, welche nur durch Ihre Kunst gesund gemacht werden können! Was würde aus all den Kranken ohne Sie?
– Gut, nicht vor dem Frühjahre, gab der Kawdjer nach, dann aber – wenn alles abreisen wird – wird sich kein Hindernis mehr in den Weg stellen, daß auch ich das Weite suche.
– Werden Sie auf die Neue Insel zurückkehren?«
Bald darauf zeigte sich Halg in europäischer Kleidung… (S. 125.)
Der Kawdjer antwortete nur durch eine ausweichende Geste. Ja, die Neue Insel war seine Heimat. Lange Jahre hatte er dort gelebt. Aber wieder dahin zurückkehren? Die Gründe, die ihn fortgetrieben hatten, bestanden noch; die Neue Insel, früher ein unabhängiges Land, hatte jetzt der Autorität Chiles zu gehorchen.
»Wollte ich auch früher abreisen, sagte der Kawdjer, bemüht, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, so wären meine zwei Gefährten damit nicht sehr einverstanden. Halg wenigstens würde von der Insel mit Bedauern scheiden – vielleicht sogar sich energisch weigern, fortzugehen.
– Warum das? fragte Frau Rhodes.
– Aus dem einfachen Grunde, daß Halg – so fürchte ich wenigstens – hier sein Herz verloren hat.
– Nun, das ist kein großes Unglück, meinte Harry Rhodes lächelnd; in seinem Alter ist das natürlich!
– Ich leugne es nicht, pflichtete ihm der Kawdjer bei, aber der arme Junge wird, wenn es dann zur Trennung kommt, viel Herzeleid durchzumachen haben.
– Warum soll er sich denn von derjenigen, die er liebt, trennen? Die beiden können doch heiraten! sagte Clary, welche, wie alle jungen Mädchen, ein lebhaftes Interesse für anderer Herzensangelegenheiten bekundete.
– Weil es sich um die Tochter eines Emigranten handelt, welche niemals einwilligen würde, ihr Leben auf dem Magalhães-Archipel zu verbringen; anderseits kann ich mir nicht denken, was Halg beginnen würde, wenn man ihn in eure sogenannte zivilisierte Welt verpflanzen wollte. Außerdem, denke ich, würde er uns, seinen Vater und mich, auch nicht leichten Herzens verlassen können!
– Die Tochter eines Emigranten, fragte Harry Rhodes, handelt es sich vielleicht um Graziella Ceroni?
– Ich habe sie einige Male begegnet, mischte sich auch Edward in das Gespräch; sie ist ganz hübsch.
– Halg findet sie wunderschön, sagte der Kawdjer lächelnd. Und ich finde das ganz begreiflich. Er hat bisher nur Frauen und Mädchen aus dem Feuerland gesehen, und ich muß gestehen, daß diese in bezug auf Schönheit leicht von anderen übertroffen werden können.
– Es handelt sich also wirklich um Graziella Ceroni? fragte Harry Rhodes.
– Ja. Schon an jenem Tage, als wir traurigen Einblick in diese Familienverhältnisse nehmen und die Frau vor dem eigenen Gatten schützen mußten, bemerkte ich den lebhaften Eindruck, den sie auf Halg machte. Sie erschien ihm wie eine Offenbarung. Ihr wißt, welch unglückliches Dasein Mutter und Tochter führen; nun, vom Mitleid zur Liebe ist nur
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