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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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eifersüchtig bedacht war; und dennoch ging von seiner Person, seinem Auftreten ein so hoheitsvolles Etwas aus, daß man seinen Befehlen wie denjenigen des gefürchtetsten Despoten gehorchte. Vergebens bemühte er sich, nie etwas zu sagen, das die Form eines Befehles hatte – man nahm den unbedeutendsten Rat als einen solchen an, dem sich dann fast alle bereitwilligst fügten.
    Man hatte die Häuser auf dem linken Flußufer errichtet, weil sein Heim dort stand. Durch die gesetzlosen Zustände im alten Lager und durch die Schattenregierung, die später eingerichtet worden war, beunruhigt, hatte man sich zu dem Manne geflüchtet, dessen physische Stärke, geistige Überlegenheit und moralische Größe sie mit Verehrung und Vertrauen erfüllte.
    Je mehr man in der Nähe des Kawdjer lebte, desto größer wurde die Macht seines Einflusses. Hartlepoool und die vier Matrosen sahen unbedingt in ihm ihr Oberhaupt und bei Harry Rhodes, welcher besser imstande war, die geheimen Triebfedern seines Handelns zu beurteilen, kam zur Achtung innige Freundschaft hinzu.
    Bei Halg und Karroly steigerte sich die Verehrung zum wirklichen Fetischismus. Der Kawdjer hatte in ihnen eine Verneinung seiner Überzeugung, daß der Mensch keinen Gott brauche, vor sich; denn den beiden Indianern erschien er als ein Gott; dem Vater, dessen materielles Leben er gänzlich und zum Besseren umgestaltet hatte; dem Sohne, dessen Seelenleben er überhaupt erst geschaffen, aus dem Zustand halben Verliertseins herausgerissen hatte, den diese feuerländischen Volksstämme »Leben« nennen. Jedes seiner Worte war unumstößliches Gesetz für sie und nahm in ihren Augen den Charakter einer geoffenbarten Wahrheit an.
    Darum darf man sich nicht verwundern, wenn Halg trotz seines lebhaften Widerwillens, sich von seinem Feinde ausbeuten zu lassen, seine Handlungsweise auch in diesem Punkte nach dem Wunsche desjenigen regelte, welchen er als seinen unumschränkten Gebieter ansah. Sirk und Genossen durften ihren Zynismus ungestraft täglich weiter treiben. Wie groß auch seine innerliche Empörung war, Halg wagte nicht, ihnen ihren Anteil an seinen Fischen zu verweigern, solange die Umstände die gleichen blieben und sie die Bedingungen einhielten, die der Kawdjer festgesetzt hatte.
    Aber es kam der Tag, an welchem die vom Kawdjer aufgestellten Grundsätze zu unvorhergesehenen, ganz unlogischen Resultaten führten Auch der geschickteste Fischer, welcher von Kindesbeinen an mit dem nassen Element vertraut ist, kann einmal vom Unglück betroffen werden. Halg machte eines Tages diese Erfahrung. Wie gewöhnlich warf er Netze und Angeln aus, versuchte sein Glück an verschiedenen Stellen, er mußte die Arbeit einstellen und sich mit einem einzigen kleinen Fisch zufriedengeben.
    In Gesellschaft von vier Kolonisten erwartete Sirk, wie tagtäglich, die Rückkehr der Schaluppe, faul am Strande hingestreckt. Die fünf Männer erhoben sich, als die Wel-kiej Anker warf, und näherten sich Halg.
    »Wir haben heute wieder ordentliches Pech gehabt, Kamerad, sagte der eine der Emigranten. Wie gut, daß du jetzt kommst! Wir hätten sonst nichts zu essen und unsere Magen knurren.«
    Die Bettler strengten sich nicht an, jeden Tag eine neue Formel für ihr Anliegen zu finden; gewöhnlich verlangten sie mit den gleichen Worten die gleiche Sache und Halgs kurze Antwort war immer: »Hier, nehmt!« Aber dieses Mal lautete seine Antwort anders: »Heute ist es unmöglich.«
    »Unmöglich? fragte einer ungläubig.
    – Seht selbst, erwiderte Halg. Ich bringe einen einzigen Fisch heim und der ist nicht groß.
    – Wir müssen uns eben damit zufriedengeben, meinte einer der Emigranten, welcher großmütig gute Miene zum bösen Spiele machen wollte.
     

    »Ich bin bereit,« sagte er im reinsten Portugiesisch. (S. 214.)
     
    – Und ich? fragte Halg.
    – Du, riefen gleichzeitig fünf Stimmen mit dem Ausdruck des höchsten Staunens.«
    Der junge Indianer war aber auch zu anmaßend! Was nahm er sich denn – ein Wilder – gegen die fünf »Zivilisierten« heraus, welche ihm die Ehre angedeihen ließen, seine Dienste anzunehmen!
    »Na, höre einmal, Rothaut, rief einer der Kolonisten, du verstehst auch die Brüderlichkeit auf deine eigene Art!… Du wirst doch nicht die Frechheit so weit treiben und deinen elenden Fisch nicht ausliefern?«
    Haig schwieg. Nach den Worten des Kawdjer war er in seinem guten Recht, wenn er den Fisch behielt. – »Erst muß man für die eigenen Bedürfnisse Sorge

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