Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Stirne:
»Ich habe es! rief er. Sie haben recht. Begegnet habe ich Sie in der Tat niemals. Aber Sie sehen einem Porträt so ähnlich, das in Millionen von Exemplaren über die ganze Welt verbreitet worden ist, daß es ganz ausgeschlossen erscheint, daß dieses Porträt nicht Sie selbst darstellen sollte!«
Während seiner Rede wurde seine Haltung unwillkürlich respektvoller und seine Stimme zitterte wie in tiefer Erregung. Als er schwieg, hatte er die Mütze abgenommen.
»Sie irren sich bestimmt, mein Herr, sagte der Kawdjer in kaltem Tone.
– Trotzdem würde ich schwören, daß…
– Wann haben Sie das fragliche Porträt gesehen? fragte der Kawdjer.
– Vor zehn Jahren ungefähr.«
Der Kawdjer hielt es nicht unter seiner Würde, die Wahrheit ein wenig zu entstellen.
»Es ist länger als zwanzig Jahre her, erwiderte er, daß ich Ihre sogenannte zivilisierte Welt verließ. Folglich kann dies unmöglich mein Bild gewesen sein. Wie wollten Sie mich auch wiedererkennen? Vor zwanzig Jahren war ich noch jung, und jetzt!…
– Wie alt sind Sie?« fragte der Kapitän unvorsichtigerweise.
Die unpassende Frage war fast ohne sein Wissen von seinen Lippen gefallen. Seine Neugierde war aufs höchste aufgestachelt, er glaubte, einem Geheimnis auf der Spur zu sein, das er vielleicht lösen konnte. Kaum war die Frage ausgesprochen, als er seinen Taktfehler einsah und sie bereute.
»Habe ich Sie um Ihr Alter gefragt?« sagte der Kawdjer kalt.
Der Kommandant biß sich auf die Lippen.
»Ich vermute, nahm der Kawdjer das Gespräch wieder auf, daß Sie mich nicht angesprochen haben, um mit mir über alte Photographien zu plaudern. Bitte, lassen Sie uns zur Sache kommen!
– Gut!« erwiderte der Kapitän.
Etwas ärgerlich setzte er seine Mütze wieder auf.
»Meine Regierung, sagte er, indem er einen rein geschäftlichen Ton anschlug, hat mich beauftragt, Sie um Ihre Absichten zu befragen.
– Um meine Absichten? wiederholte der Kawdjer erstaunt. Um welche Absichten denn?
– In bezug auf Ihren Aufenthaltsort.
– Das geht sie doch nichts an!
– Das geht sie sehr viel an!
– Ah!…
– Gewiß! Es ist meiner Regierung nicht unbekannt, welche Macht Sie über die Eingebornen des Archipels haben, und sie hat nie aufgehört, diesen Einfluß ernstlich zu beobachten und mit Interesse zu verfolgen!
– Zu liebenswürdig, sagte spöttisch der Kawdjer.
– Solange der Magalhães-Archipel unabhängig war, fuhr der Kommandant fort, hat man nur zugewartet. Aber mit der Teilung hat sich die Lage geändert; nach der Annexion…
– Dem Raube, berichtigte der Kawdjer.
– Sie meinen?
– Nichts. Bitte, fahren Sie fort!
– Nach der Annexion mußte sich meine Regierung – – die besorgt sein muß, ihre Autorität im neuen Besitz zur Geltung zu bringen – fragen, welche Haltung Ihnen gegenüber anzunehmen ist. Natürlich wird dies ganz von Ihrem Verhalten abhängen. Meine Mission ist, Sie um Ihre Zukunftspläne zu befragen. Ich bin im Besitze eines Freundschaftsvertrages…
– Oder einer Kriegserklärung?
– Sie erraten es. Ihr Einfluß, den Sie nicht leugnen können, ist er uns feindlich gesinnt oder gedenken Sie ihn in den Dienst unserer Zivilisationsbestrebungen zu stellen? Wollen Sie unser Verbündeter – oder unser Gegner sein? Die Entscheidung liegt bei Ihnen!
– Ich bin weder das eine noch das andere, sagte der Kawdjer; ich gedenke neutral zu bleiben.«
Der Kommandant schüttelte zweifelnd das Haupt.
»Die Neutralität scheint mir eine schwer durchzuführende Sache, sagte er, wenn man Ihre Machtstellung hierzulande in Betracht zieht.
– Sie ist im Gegenteil sehr leicht zu bewahren, erwiderte der Kawdjer, aus dem überzeugenden Grunde, daß ich Magellanien auf Nimmerwiedersehen verlassen habe.
– Sie haben es verlassen?… Aber Sie sind doch hier…
– Hier bin ich auf der Insel Hoste, einem freien Lande, und ich bin fest entschlossen, nie mehr den Magalhães-Archipel zu betreten, der nicht mehr frei ist.
– Somit beabsichtigen Sie, auf der Insel Hoste Ihre bleibende Wohnstätte aufzuschlagen?«
Der Kawdjer nickte.
»Das vereinfacht alles, meinte der Kapitän sehr befriedigt. Ich kann also die Versicherung mit mir nehmen, daß meine Regierung nichts Feindliches von Ihnen zu befürchten hat.
– Sagen Sie Ihrer Regierung, daß ich sie nicht kenne,« sagte der Kawdjer, lüftete seine Mütze und ging fort.
Einen Augenblick folgte ihm der Kommandant mit seinen Blicken. Trotz der Beteuerungen des
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