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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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tragen, dann erst…«
    So und nicht anders, hatte der Kawdjer gesagt.
    Ein einziger Fisch war übrigens – wie der Augenschein ergab – ungenügend für eine Abendmahlzeit, zu klein zur Teilung – Halg war entschlossen, den Fisch zu behalten.
    Der eine Arbeiter nahm Halgs Zögern für den Beweis eines krassen Egoismus.
    »Schöne Handlungsweise, rief er empört!
    – Keine weiteren Redensarten, mischte sich Sirk in herausforderndem Tone ein; wenn der Kerl den Fisch nicht gutwillig hergibt, nehmen wir ihm denselben einfach weg, und sich zu Halg wendend, zählte er: Eins… zwei… und… drei!« –
    Schweigend stellte sich Halg in Verteidigungszustand.
    »Vorwärts, Jungen!« kommandierte Sirk. Die fünf Männer warfen sich auf ihn, er wurde zu Boden geworfen und der Fisch seinen Händen entrissen.
    »Kawdjer!« schrie er im Fallen.
    Auf den Hilferuf traten der Kawdjer und Karroly sofort aus ihrem Hause. Sie sahen Halg im ungleichen Kampfe begriffen und eilten ihm zur Hilfe.
    Die Angreifer warteten die Ankunft der beiden nicht ab. Sie flohen, so schnell sie ihre Beine trugen, über den Fluß zurück, den durch brutale Gewalt eroberten Fisch hatten sie mitgenommen.
    »Was ist denn geschehen?« fragte der Kawdjer.
    Haig erzählte, was vorgefallen war und der Kawdjer hörte mit finster gerunzelter Stirne zu. Wieder ein neuer Beweis für die menschliche Bosheit, der seine optimistischen Theorien untergrub. Wieviele andere mußten sich noch diesem an die Seite stellen, bevor er dazu zu bringen war, den Menschen so zu sehen, wie er tatsächlich ist!
    Wenn er dem Altruismus auch die weitgehendsten Zugeständnisse machte, seinem Schüler konnte er heute unmöglich unrecht geben, er hatte nicht anders handeln können. Höchstens ließ er die Bemerkung fallen, daß die kleinliche Ursache des Streites nicht einer solchen Verteidigung wert gewesen sei. Aber diesmal war Halg nicht zu überzeugen.
    »Es handelt sich nicht um den Fisch, rief er erregt und noch ganz heiß vom Ringen; ich will aber doch nicht der Sklave dieser Menschen sein!
    – Nein, nein, das sollst du auch nicht,« sagte der Kawdjer, einlenkend.
    Ja, auch die Eigenliebe, die Eitelkeit säet Unfrieden unter die Menschen. Nicht nur die Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse ist die Ursache zu Zank und Streit. Sie haben aber auch moralische Bedürfnisse und unter ihnen nimmt der Stolz die erste Stelle ein, der viel dazu beigetragen hat, die Erde im Laufe der Zeiten mit Blut zu tränken. Hatte der Kawdjer das Recht, das Aufbäumen dieses Stolzes zu tadeln, er, dessen unzähmbare Seele nie den Schatten eines Zwanges ertragen konnte?
    Inzwischen hatte sich Halgs Zorn noch nicht gelegt.
    »Ich! rief er, ich soll diesem Sirk nachgeben!« –
    Das auch noch! Die Leidenschaften wollten auch eine aktive Rolle spielen und hetzten diejenigen gegeneinander auf, welche der Kawdjer immer noch eigensinnig als Brüder bezeichnete!
    Er sagte nichts zu diesem empörten Ausruf des jungen Mannes, nur versuchte er, Halg durch eine Geste zu beruhigen und entfernte sich schweigend.
    Aber er gab es nicht auf, seine Traumgebilde gegen die Angriffe der Tatsachen zu verteidigen. Während seiner kurzen Wanderung suchte und fand er Entschuldigungen für die Angreifer:
    Sie waren ja schuldig, das stand bombenfest, aber es war in Erwägung zu ziehen, daß diese armen Menschen die traurigen Ergebnisse der vielgepriesenen Zivilisation der Alten Welt waren, welche kein anderes Überzeugungsmittel kannten, außer der rohen Kraft – besonders in diesem Falle, wo es sich um ihre Lebenserhaltung handelte.
    Und darum handelte es sich in diesem Falle wirklich! Ihr Leichtsinn, ihre Sorglosigkeit dieser brennenden Frage gegenüber war groß, strafbar! – aber wie furchtbar niederschmetternd mußte für sie der Anblick der sich stetig verringernden Vorräte sein – das meiste davon war im Inneren der Insel. Kein neuer Zufluß war zu erwarten, der sie vermehrt hätte, schon konnte man den Tag bestimmen, an dem sie aufgezehrt sein würden. War es zu verwundern, wenn die Unglücklichen jegliches Mittel ergriffen, um die unabwendbare Katastrophe zu verzögern? Gehorchten Sie nicht nur einem mächtigen Naturtrieb, welcher –
per fas et nefas
– die unausbleibliche Zerstörung nach Tunlichkeit hinauszuschieben versucht?
    Waren sich Sirk und Genossen der schlimmen Aussichten der Kolonie voll bewußt oder hatten sie nur ihrer brutalen Natur die Zügel schießen lassen? Wie dem auch sei, die

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