Die Schlacht der Nomen: Trucker, Wühler, Flügel
unternehmen, Exzellenz?«
»Ihr müßt das Kaufhaus verlassen«, entgegnete der Abt.
Gurder riß entsetzt die Augen auf.
»Aber du hast immer gesagt, alles im Draußen kann nur ein Traum sein.«
»Und du hast mir nie geglaubt. Nun, vielleicht habe ich mich geirrt. Der junge Mann mit dem Speer – ist er noch hier? Ich sehe nicht mehr sehr gut.« Masklin trat vor.
»Oh, da bist du ja«, ächzte der alte Wicht. »Dein Kasten …«
»Ja?«
»Hat mir Dinge erzählt. Mir Bilder gezeigt. Das Kaufhaus ist viel größer, als ich dachte. Es gibt einen Raum, in dem man Sterne aufbewahrt – nicht nur die glitzernden und blinkenden, die während der Saison Weihnachten von der Decke hängen, sondern auch viele andere. Das Zimmer heißt Universum. Wir haben dort gewohnt, und uns gehörte praktisch alles. Jenes Zimmer war unser
Zuhause.
Wir brauchten uns nicht unter dem Fußboden der Menschen zu verstecken. Ich glaube, Arnold Bros (gegr. 1905) fordert uns jetzt auf, dorthin zurückzukehren.« Er hob die Hand, und seine kalten weißen Finger schlossen sich überraschend fest um Masklins Arm. »Ich halte dich nicht für übermäßig intelligent«, fuhr der Abt fort. »Ich glaube vielmehr, daß du einer von den eher dummen, aber pflichtbewußten Wichte bist, die zum Anführer werden, obgleich man dadurch überhaupt keinen Ruhm erringen kann.
Wie dem auch sei: Du denkst gründlich nach. Und du gibst nicht auf. Bring das Volk des Kaufhauses nach Hause.«
Er sank ermattet aufs Bett zurück und schloß die Augen.
»Aber… Wir sollen das Kaufhaus verlassen, Exzellenz?«
brachte Gurder hervor. »Wir sind Tausende. Und die vielen Alten und kleinen Kinder… Wohin sollen wir gehen? Masklin hat uns von Füchsen erzählt, die im Draußen auf uns Nomen Jagd machen. Und von Wind und Hunger und Wasser, was in Tropfen vom Himmel fällt! Exzellenz? Exzellenz?« Grimma tastete nach dem Puls des Greises.
»Hört er mich?« fragte Gurder.
»Vielleicht«, erwiderte Grimma. »Möglicherweise. Aber rechne nicht mit einer Antwort – er ist tot.«
»Aber er darf nicht tot sein!« kam es entgeistert von Gurders Lippen. »Er ist immer hiergewesen. Bestimmt irrst du dich.
Exzellenz? Exzellenz!« Masklin nahm das Ding aus den schlaffen Händen des Abts, als ein Büromaterialer hereineilte, alarmiert von Gurders lauter Stimme.
»
Ding?«
fragte er leise und trat von den anderen fort.
»
Ich höre dich.«
»Ist er tot?«
»Ich
stelle keine Lebenszeichen fest.«
»Was bedeutet das?«
»Es
bedeutet: ja.«
»Oh.« Masklin überlegte. »Ich dachte, man muß gefressen oder zerquetscht werden. Ich wußte nicht, daß man auch einfach so sterben kann.« Das Ding bot ihm keine zusätzlichen Informationen an. »Hast du irgendeinen Rat für mich?« erkundigte sich Masklin. »Gurder hat recht. Die hiesigen Nomen haben es warm und genug zu essen. Bestimmt lehnen sie es ab, ihr einfaches Leben aufzugeben. Ich meine, einige der Jüngeren sind vielleicht dazu bereit, aus Jux. Doch wenn wir draußen überleben wollen, brauchen wir viele Leute. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Und was soll ich ihnen sagen? Etwa: Entschuldigt bitte, aber ihr müßt alles zurücklassen?«
Das Ding sprach.
»Nein«,
sagte es.
Masklin hatte noch nie eine Bestattung beobachtet. Bis vor kurzer Zeit war ihm nicht einmal klar gewesen, daß Nomen an einem zu langen Leben sterben konnten. Sie wurden gefressen oder kehrten nicht zurück. Aber der Tod im Bett…
»Wo begrabt ihr eure Toten?« fragte Gurder.
»Häufig im Innern von Dachsen und Füchsen«, antwortete Masklin. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und fügte hinzu: »In den Mägen hübscher und geschickter Jäger.«
Auf folgende Weise nahmen die Kaufhaus-Nomen von ihren Toten Abschied:
Das Zeremoniell begann, indem man die Leiche in ein festliches grünes Gewand kleidete und eine rote Zipfelmütze hinzufügte. Der lange weiße Bart wurde sorgfältig gekämmt, und anschließend lag der Abt friedlich auf dem Bett, während Gurder vorlas: »O Arnold Bros (gegr. 1905), empfange die Seele unseres Bruders und bringe sie in deine große Gartenbau-Abteilung jenseits der Buchhaltung, wo es Scheren für das problemlose Schneiden von Rasenrändern gibt, Blumenschüsseln zur Zierde Ihres Gartens, den Teich des ewigen Lebens mit leicht auszulegenden Kunststoffplanen und einer Einfassung, die nichts zu wünschen übrigläßt. Wir geben ihm die Geschenke, die jeder Nomen für seine Reise braucht.«
Der Graf von
Weitere Kostenlose Bücher