Die Schlacht der Trolle
geschält hatte, wurde den Geistern bewusst, dass es bevölkert werden musste. Sie gaben etwas von ihrem Wesen in die unbelebte Welt, und so entstanden Pflanzen und Tiere. Einige gaben mehr von sich, gingen auf in ihren Geschenken, und so kamen Menschen, Trolle, Elfen und alle sonstigen Bewohner in die Welt. Aber nicht alle waren gut für das Land, und so hoben die Geister die Berge empor, um es zu schützen. Die Sorkaten schließen Wlachkis seitdem ein wie ein Mauerring. Aber auch das genügte nicht, denn viele Wesen waren schlau, und sie wollten die Welt beherrschen. Manche gruben sich durch die Berge, andere stiegen über sie hinweg. Also gab ein Geist sich auf, um Beschützer für das Land zu schaffen. So stiegen wir Wlachaken in die Welt, Kinder des Landes und der Geister. Aber das ist nur eine Geschichte, die von Generation zu Generation weitererzählt wird. Die Masriden glauben, dass sie dem Göttlichen Licht entstiegen sind, das sie geschaffen hat. Im Imperium behaupten sie, ihre Götter hätten die Menschen aus Erde und Wasser geknetet und ihnen dann Leben eingehaucht.«
»Und was glaubst du?«
Über diese Frage dachte Sten lange nach. In seiner Jugend hatte man ihm die Geschichten der Wlachaken erzählt, obwohl die Masriden dies verboten und sogar mit dem Tode bestraft hatten. Für ihn waren die Legenden immer auf eine unbestimmte Art wahr gewesen, ohne dass er darüber nachdenken musste. Doch jetzt, nachdem er den Erzählungen der anderen gelauscht hatte, stellte er fest, dass er in seinem Inneren keinen festen Glauben hatte. Wenn er versuchte, diesen zu packen, blieb nur Nebel, durch den seine Hände hindurchglitten. Keine Substanz, keine Sicherheit, kein Fundament. Ratlos schüttelte der Wlachake den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Die Geister sind überall, Sten«, erwiderte Tarlin ernst.
»Aber sind wir ihr auserwähltes Volk? Ist Wlachkis wirklich unser? Ich dachte immer, es wäre so. Aber jetzt …«
Jetzt weiß ich gar nichts mehr. Ich habe Flores gesagt, dass unser Land den Tod bringt. Stimmt das? Ist es der Dunkelgeist, der uns vergiftet? Sind es die Masriden, die uns keinen Frieden gewähren? Oder sind wir es selbst?
»Du denkst zu viel nach, Mensch«, dröhnte Pard und riss Sten aus seinen Gedanken. »Das ist ungesund!«
Einige Trolle lachten, aber Sten schwieg. Die unnatürliche Umgebung lastete immer mehr auf seinem Geist. Fremd und unwirklich tauchten bizarre Felsen und Schatten vor ihm auf, nur um schon bald wieder in der ewigen Finsternis zu verschwinden. Inzwischen hatten sie einige Höhleneingänge passiert, und die Windungen der Tunnel sorgten dafür, dass ihr Weg verworren und labyrinthisch erschien.
Unvermittelt erkannte Sten, dass er wohl ohne die Hilfe der Trolle nicht mehr zu dem Höhlenausgang zurückfinden würde. Jetzt habe ich tatsächlich alles hinter mir gelassen. Es gibt kein Zurück mehr. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag und nahm ihm den Atem. Zweifel stiegen in ihm auf. Bilder von Flores und Ionna, von all den Menschen in Dabrân erschienen vor seinem inneren Auge. Ich habe sie im Stich gelassen. Habe ich mich richtig entschieden? Der Dunkelgeist ist gefährlich, aber was kann ich an diesem Ort überhaupt ausrichten? Wäre mein Platz nicht an der Oberfläche, an Flores’ Seite, um für Wlachkis zu kämpfen? Sten wusste keine Antworten auf diese Fragen, die seine Gedanken ausfüllten, während er den Trollen tiefer und tiefer in ihre Heimat folgte.
Erst als vor ihm einige Trolle zu brummen anfingen, löste der Wlachake sich aus seinen Grübeleien. Während Sten sich mit seinen eigenen Sorgen trug, ging es den Trollen offensichtlich prächtig. Sie unterhielten sich leise, scherzten, zogen sich gegenseitig auf, lachten und waren allgemein guter Dinge. Sten war so in seiner eigenen Welt gefangen gewesen, dass er bisher gar nicht bemerkt hatte, wie sehr die Trolle die Heimkehr genossen. Und jetzt drang ein tiefer, langsamer Gesang an seine Ohren; ein wortloser Klang aus mehreren Kehlen, der die Luft selbst vibrieren zu lassen schien. Das Brummen hallte durch den Gang, wurde von den Wänden zurückgeworfen und entwickelte im Wechselspiel mit dem eigenen Echo eine Lebendigkeit, die Sten bis ins Mark drang.
Obwohl er keine Worte ausmachen konnte, spürte der Mensch die Gefühle der Trolle, die in ihrem Lied lagen. Stolz und Trauer, Sieg und Verlust schwangen in den dunklen Tönen, verstärkten sich von Troll zu Troll, bis sie die ganze Unterwelt auszufüllen
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