Die Schlacht von Trident
falschen Zeit geboren. Ich mag auch die Musik dieser Zeit sehr gerne, die alten Filme, die damals gedreht wurden, die unglaubliche Vielfalt an Kunstformen, die der Jahrtausendwechsel trotz seiner beschränkten Mittel hervorgebracht und freigesetzt hatte.
Ich habe euch doch von diesem Laden erzählt, diesem Café-Restaurant hier um die Ecke, und von Ralf, dem Wirt und Renate, seiner Frau, der Köchin, die ebenso die Faszination dieser Epoche mit mir teilen. Es sieht ganz so aus, als würde das Konzept, eine Gaststätte ganz in dem Stil der 1990er Jahre zu eröffnen, aufgehen. Die Leute rennen den beiden quasi die Bude ein, futtern Burger ohne Ende, auch wenn sie heute natürlich nicht mehr aus echtem Rindfleisch, sondern aus einem Soja-Pad gemacht werden. Dazu spielen sie die Musik dieser Zeit, werfen mit einem Bildemitter die dazu gehörigen Videos an die Wand, veranstalten Kinoabende und Lesungen mit Literatur des ausgehenden 20. Jahrhunderts – kurzum, ein Traum für jemanden für mich.
Es beruhigt mich zu wissen, dass es immer noch Leute da draußen gibt, die trotz der damaligen weltpolitischen Verhältnisse (Nationalstaaten, man stelle sich das einmal vor!) und der noch in den Kinderschuhen steckenden Weltraumtechnik, die wir heute als gegeben hinnehmen, als wäre es nie anders gewesen, immer noch Interesse an dieser Zeit zeigen und sich gerne in sie entführen lassen.
Wie dem auch sei – ich gerate schon wieder ins Plaudern, haltet mich doch davon ab! – war ich heute Abend auch wieder einmal da und gönnte mir meinen Feierabend-Syntho-Cocktail. Ralf und Renate hatten den Videobeamer angeschmissen und zeigten zur Freude und Belustigung der Gäste eine Folge einer alte deutsche TV-Krimi-Serie mit dem Namen »Tatort«. Er spielte in den heutigen Stadtteil Köln und alle waren erstaunt, wie dieser Teil unseres Bezirks damals ausgesehen hatte.
Allein der Dom! Ungeschützt den Witterungsverhältnissen ausgesetzt stand er da in der Gegend herum. Die Zuschauer hatten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie das sahen. Kaum jemand hatte das sakrale Gebäude jemals so gesehen.
Erst 2053 hatte ja der Bau der Schutzhülle begonnen, in der sich der Dom heute befindet. Davon war in dem Film noch nichts zu sehen, war er doch gute 50 Jahre zuvor gedreht worden.
Es war ein netter Abend. Nachdem die Folge zuende war, wurde noch angeregt über die Handlung diskutiert und irgendwie hatte ich mich am Tresen mit Ralf verquatscht. Schließlich waren wir da ganz in unserem Element, und ich trank einen Drink nach dem anderen, was sich irgendwann auch in meiner Blase bemerkbar machte.
Ich begab mich also zur Toilette (keine Angst, ich komme gleich zum Punkt, keinesfalls will ich euch mit Details meiner Körperfunktionen langweilen oder gar abschrecken!) und suchte mir eine Kabine. Es war etwa eine Stunde vor Mitternacht, als ich die Tür abschloss und mich – wie es sich gehört! – auf das »Stille Örtchen« hockte.
Und jetzt kommt's! Das ist mir noch nie passiert!
Ich bin auf dem Klo eingepennt. Wirklich. Ist das zu glauben?
Zwei Stunden später erwachte ich mit runtergelassenen Hosen und kaltem Hintern auf dem Lokus sitzend, während Ralf von außen mit Fäusten an die Tür schlug und genervt rief. »Wer immer da drin ist, wir würden jetzt gerne schließen!«
Er hatte mein Fortbleiben gar nicht bemerkt. Anscheinend war er so sehr mit der Bedienung der anderen Gäste beschäftigt gewesen, dass er sich nicht weiter gewundert hatte, dass ich nicht von der Toilette wiedergekommen war.
Verwirrt zog ich mich wieder an und öffnete die Tür. Ralfs überraschtes Gesicht könnt ihr euch vorstellen. Ich erzählte ihm die ganze Sache und er hatte gelacht, wie es seine Art war.
»Vielleicht sollte ich damit an der Tür werben: Unsere sanitären Anlagen sind so gemütlich, halten Sie doch ein Nickerchen!«, hatte er gewitzelt.
Zusammen waren wir zurück in den Schankraum gegangen. Renate hatte die Barhocker bereits hochgestellt und man hörte sie jetzt in der Küche rumpeln. Aus den Lautsprechern erklang ein Klassiker: »Born Slippy« von »Underworld«.
Und ich weiß nicht, warum, aber plötzlich schoss mir das Erscheinungsjahr des dazugehörigen Albums und die gesamte Trackliste durch den Kopf. Einfach so.
Als hätte man sie mir direkt ins Gehirn projiziert.
Nun würdet ihr sicher sagen, das kann man schon mal haben, das hast du sicher irgendwie irgendwo mal gelesen und es ist dir in diesem Moment wieder
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