Die schlafende Armee
beide!« sagte er barsch. »Mitkommen! Die anderen bleiben hier.« »Aber wieso ...?« begann Kyle. Lehmann trat mit einem blitzschnellen Schritt auf ihn zu und schlug ihm mit dem Handrücken über den Mund. Charity wußte, daß es Kyle ein leichtes gewesen wäre, dem Hieb auszuweichen oder den Soldaten zu entwaffnen, aber der Megamann zuckte nicht einmal mit den Wimpern. Er taumelte einen halben Schritt zurück, verzog schmerzhaft das Gesicht und hob die Hand an die Lippen, die aufgeplatzt waren und leicht zu bluten begannen. »Maul halten, habe ich gesagt!« fauchte Lehmann. »Und die anderen bleiben hier!« Er trat hastig wieder zwei Schritte zurück und gab Charity und Kyle mit einem zornigen Wink zu verstehen, daß sie ihm folgen sollten. Völlig verwirrt und doch erleichtert, daß Kyle geistesgegenwärtig genug gewesen war, seine Rolle weiterzuspielen, trat Charity zwischen den beiden Soldaten hindurch auf den Korridor hinaus und wandte sich nach rechts. Kyle folgte ihr, aber er schien für Lehmanns Geschmack nicht schnell genug zu gehen, denn der Soldat versetzte ihm einen groben Stoß. Charity drehte sich zornig herum. »Zum Teufel, was soll das?« fragte sie zornig. »Gehen Sie weiter!« befahl Lehmann. »Leutnant Hartmann wird Ihnen alles erklären.« Die Panzertür zur Zentrale stand halb offen, und obwohl erst wenige Minuten vergangen waren, seit sie den Raum verlassen hatten, schien er sich völlig verändert zu haben. Hinter dem Computerpult saßen jetzt zwei Techniker, und auch Hartmann hatte sich mit besorgtem Gesichtsausdruck über einen mit Skalen und kleinen Bildschirmen übersäten Tisch gebeugt. Sämtliche Monitoren in der Wand waren zum Leben erwacht und zeigten Ausschnitte der Stadt. »Was ist passiert?« fragte Charity. Hartmann starrte sie einen Moment lang an, als sähe er sie zum ersten Mal. Seine Augen wurden schmal. »Wissen Sie das wirklich nicht, oder sind Sie einfach eine gute Schauspielerin?« Mit mühsam beherrschter, aber hörbar zitternder Stimme antwortete Charity: »Ich würde nicht fragen, wenn ich es wüßte. Was ist los?« Sie deutete auf Lehmann, der einen halben Schritt hinter Kyle stand. »Wieso behandeln Sie uns plötzlich wie Gefangene? Was geht hier vor?« Hartmann schwieg einen Moment. Dann richtete er sich ganz auf und gab dem Soldaten einen Wink, die Waffe herunterzunehmen. Lehmann gehorchte, hielt das Gewehr aber weiter schußbereit in den Händen. »Sie haben uns entdeckt«, sagte Hartmann. Er deutete auf die Wand aus flimmernden Monitoren, auf denen eine ganze Armee aus scheinbar langsam dahintreibenden Gleitern und schwarzen, vierarmigen Ameisenkriegern zu sehen war. »Es gibt keinen Zweifel. Sie sind auf dem Weg hierher. Sie scheinen noch nicht ganz genau zu wissen, wo wir sind, aber sie kommen näher.« »Und jetzt glauben Sie, das wäre unsere Schuld«, vermutete Charity. »Ich glaube überhaupt nichts«, antwortete Hartmann kalt. »Ich zähle nur zwei und zwei zusammen, Captain Laird. Wir sitzen seit fünfzig Jahren hier, und sie versuchen seit fünfzig Jahren, uns zu finden. Und ausgerechnet heute sieht es so aus, als wäre es ihnen gelungen. Ein sonderbarer Zufall, nicht wahr?« »Vielleicht ist es kein Zufall«, sagte Kyle ruhig. »Zu genau dem gleichen Schluß bin ich auch gekommen«, erwiderte Hartmann. »Sie glauben doch nicht etwa, daß wir Sie verraten haben?!« sagte Charity empört. »Nein«, antwortete Hartmann. »Sie wahrscheinlich nicht, Captain Laird, aber vielleicht Ihr sonderbarer Freund. Ich bin weder dumm noch blind. Wer immer dieser Kerl ist, eines ist er bestimmt nicht: irgendein Revoluzzer wie Ihr Freund, der Indianer.« »Das stimmt sogar«, gestand Charity. »Sie kommen näher, Herr Leutnant«, sagte einer der beiden Techniker. »Noch vier oder fünf Kilometer...« Er zog nachdenklich die Unterlippe zwischen die Zähne. »Ich verstehe das nicht«, murmelte er. »Wenn ich nicht wüßte, daß es unmöglich ist, würde ich meine rechte Hand darauf verwetten, daß sie eine Dreieckspeilung durchführen.« Hartmanns Blick wurde vorwurfsvoll, und Charity lächelte spöttisch. »Wenn Sie glauben, daß wir einen Funkpeilsender oder sonst etwas bei uns haben, dann durchsuchen Sie mich ruhig, Herr Leutnant. Nur keine falsche Scham.« In Hartmanns Augen blitzte es zornig auf. »Ich sagte bereits, ich bin weder dumm noch blind«, antwortete er gereizt. »Ich weiß, daß keiner von Ihnen etwas Derartiges bei sich trägt.
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