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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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war, genau wie alle anderen, nicht abgeschlossen. Lautlos schwang sie auf und gab den Blick frei auf einen riesenhaften Saal, der mehrere Stockwerke ausfüllte. Vor Darius’ Füßen führte eine metallene Treppenkonstruktion abwärts in die Tiefe. Die Wände des gigantischen Raumes waren vollständig ausgefüllt mit tausenden von Schubladen. Die Mitte wurde beherrscht von einem riesenhaften Schrankkomplex, der wie ein grobklötziger Pfeiler bis an die Decke in schwindelnder Höhe reichte, und der vom Boden bis zur Decke ebensolche zahllosen Schubladen enthielt. In unregelmäßigen Abständen lehnten an den Wänden wie auch an dem Mittelblock viele Leitern, die angesichts der Ausmaße des ganzen Raumes wie silberne Fischgräten ausnahmen. Bei näherem Hinsehen erkannte Darius, dass alle Leitern weit oben mit Rollen an einer Art umlaufender Schiene befestigt waren, so dass man sie an jede Position schieben konnte. Jede Schublade im Raum war also problemlos zu erreichen.
    Darius stieg erregt die schmalen Stufen hinab. Im Zwielicht des Archivsaales begann er, die kleinen Metalletiketten der Schubladen zu studieren. Direkt unterhalb der Treppe befand er sich mitten im Alphabet, denn danach waren die Schubladen offenkundig sortiert. Ein probater Griff in einer der Schubladen belegte seine Ahnung: Hier war tatsächlich das Archiv sämtlicher Mitbürger. Alle Schubladen enthielten genau die Formulare, die er in den Büros gefunden hatte, nur waren sie hier sorgfältig ausgefüllt.
    Da Darius noch keine Idee hatte, wie genau er die Spur seiner Sehnsucht verfolgen sollte, suchte er zunächst nach dem Buchstaben „D“. Er musste dazu gegen den Uhrzeigersinn die Wand entlanggehen, immer weiter in der Buchstabenfolge zurück. Die „D“-Reihenfolge in seiner Augenhöhe begann mit „Del“. Links daneben die Schublade befand sich noch im „C“-Bereich.
    Schwer atmend ergriff er die nächste Leiter und schob sie in die richtige Position. Sie glitt lautlos und leicht. Gut gewartet und oft benutzt. Stufenweise arbeitete er sich voran, bis er die Schublade „Dar“, gefunden hatte. Vorsichtig zog er sie auf.
    Hastig und mit fahrigen Fingern durchstöberte er die Formulare. Angespannt registrierte er, dass es mehrere Darius gab. Alle waren eingetragen in dem Feld für „zugewiesener Name“. Mehrere Nummern dahinter verwiesen darauf, dass es sich um unterschiedliche Personen handelte.
    Dann fand er es. Eine plötzliche Erregung überkam ihn, als er seine eigene Karte in der zittrigen Hand wusste.

    Es handelte sich eindeutig um seine Karteikarte. Mehrmals musste er es sich ins Bewusstsein rufen. Es war wie eine höhnische Stimme, die ihm etwas spöttisch und genüsslich entgegenschleuderte, das er aber nicht hatte wahrhaben wollen, und wogegen er sich vergeblich wehrte, weil er wusste, dass es wahr ist.
    Es war ein unangenehmes, widerliches Gefühl des Beobachtetwerdens, das Darius beschlich. Unwillkürlich musste er sich umsehen, ob wirklich niemand zugegen war. Doch seinem Auge bot sich nur das dämmrige Licht, des schier endlos wirkenden Raumes, das in der Tiefe in dumpfe Schwärze überging, unterbrochen nur von gelegentlichem Schimmern der metallenen Leitern. Auch war es totenstill.
    Er zog einige andere Karten zum Vergleich. Außer den besonderen Kennzeichen blieben die meisten Felder bei den anderen leer mit Ausnahme der Zahlencodes und des Aktenzeichens und natürlich der Berufsbezeichnung. Die Zahl im Feld „Dosis“, war stets deutlich niedriger, was immer das bedeuten mochte. Auch hatten die anderen Karten alle die Versionsnummer 1 und waren teilweise in einer altertümlichen Handschrift ausgefüllt.
    Dann erinnerte er sich daran, dass ihn dies alles von seinem eigentlichen Ziel abhielt. Doch wo sollte er nach seiner unerreichbaren Geliebten suchen? Er steckte seine Karte sorgfältig an ihren Platz zurück und stieg die Leiter hinab.
    Unruhig lief er die endlosen Reihen von Schubladen ab. Wahllos zog er einige davon auf, aber er fand nur für ihn bedeutungslose Namen. Beim Buchstaben „U“, jedoch hielt er kurz inne. Kurz entschlossen schob er eine Leiter herbei und suchte die besagte Schublade. Nach kurzem Blättern zog er das Karteiblatt hervor, das er suchte:

    Darius stellte fest, dass Uriels Karte weniger dramatisch abgefasst war als seine eigene. Uriel hatte es wohl besser verstanden, unauffällig zu bleiben. Immerhin, Uriel gehörte ganz sicherlich nicht zur anderen Seite, sondern stand seinerseits unter

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