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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Maurerkelle und ein ebenso ausgeprägtes Kinn, und riesenhafte Hände und Füße. Anton hatte noch nie so große Stiefel gesehen.
    Ecki verriet seine Nervosität lediglich dadurch, dass er sich ständig an seinen Pickeln herumdrückte. Dementsprechend dürftig waren seine Witze, denn ihm war genauso wenig zum Lachen. Die Stunden der Freiheit und der Kameradschaft, die er trotz aller Härte irgendwie genoss wie ein spannendes Abenteuer, waren einer nackten Todesangst gewichen. Auf die Idee, dass er womöglich sterben könnte, war er zuvor noch gar nicht gekommen. Käseweiß stürzte er sich jetzt auf die Flasche mit Weinbrand, die er unter seiner Pritsche aufbewahrt hatte und nahm einen gewaltigen Schluck.
    Draußen knallte es schon wieder, und es war so nah, dass der Putz die Wände herunterrieselte. Walter schrie auf und verbarg sein Gesicht in seinen kleinen, fetten Händen.
    Werner dagegen war ein richtiges Arschloch. Er schien sich auf den Krieg regelrecht zu freuen. Den Schädel werde er den verdammten Russkis wegpusten, verkündete er grinsend in seinem hessischen Dialekt, um noch anzufügen, wie viele ihrer Frauen er noch zu schänden gedachte. Dabei rieb er sich genießerisch an seinem Geschlecht. „Wenn die mal so einen richtigen arischen Lümmel gespürt haben, werden sie darum betteln!“
    Einige lachten darüber. Wahrscheinlich hätten sie über so ziemlich alles gelacht, was von den platzenden Granaten und dem Gewehrknattern abgelenkt hätte.
    Für Anton hatte Werner eine andere Art von Beschränktheit als Walter. Werner war nicht dämlich, er war viel gefährlicher. Denn er war dumm. Ein Hornochse, der sich für besonders schlau hielt. Was Anton an Werner aber am unangenehmsten fand, waren diese ständigen Parteifloskeln und seine hoheitsvollen Worte über den „Führer“. Offenbar fand er sich in dem völkischen Gedanken wieder. Werner war alles andere als eine Schönheit. Er erinnerte mit seiner breiten, kurzen Nase und dem langen Oberkiefer fatal an einen Neandertaler, aber er war hellblond und hatte unter den dicken Augenwülsten stahlblaue Augen. Das also sollte der edle Herrenmensch sein, von dem in der Propaganda immer die Rede war? Auf jemanden, der so aussah, musste dies wie eine Offenbarung wirken.
    Die Einnahme des kleinen russischen Dorfes von gestern war für Werner eine Heldentat, ein glorreiche Etappe eines erfolgreichen Feldzuges. Die ganze Straße war voller russischer Leichen gewesen, einige hatten sogar noch leise gestöhnt. Überall stank es nach Blut und Scheiße. Einige Kameraden drangen in die Häuser ein, und wüteten darin herum, was man anhand der Schüsse und Schreie erahnen konnte. Werner hatte seinen arischen Lümmel da vermutlich schon mehrfach im Einsatz gehabt, wie einige andere auch. Er hatte es offenbar nötig. Anton schnaubte verächtlich. Mittlerweile rollte er schon die Augen, wenn er Werners selbstgefälliges Grinsen nur sah. Er hätte kotzen können.
    Konrad lachte auch nicht. Er war erst achtzehn Jahre alt, schrecklich verliebt und schrieb seiner Hannah in jeder freien Minute einen Brief. Jedes abfällige Wort über Frauen war für ihn derzeit wie eine Gotteslästerung, denn er verehrte sein Mädel wie eine Heilige. Wegen der derzeitigen dramatischen Lage an der Front war bereits über eine Woche keine Post herausgegangen, und er hatte schon ein dickes Paket Briefe angesammelt, die er niemals aus der Hand gab, und sorgfältig in seiner Brusttasche aufbewahrte.
    Die Briefe sollten aber nie ankommen. Es war dieser eine Angriff, als sie alle raus mussten aus den scheinbar schützenden Mauern des Bauernhofes, den sie eingenommen hatten. Still und dunkel war es, und der eiskalte Morgennebel drängte sich in die Krägen, in die Ärmel, in die Ohren. Alle scharten sich in Gruppen duckend vor den niedrigen Mauern, um dann auf Befehl herüberzuklettern und voranzuschleichen. Geduckt nahmen sie Stellung, bereiteten sich vor. Drei Kilometer weiter befand sich das nächste Dorf, das einzunehmen war.
    Niemand war zu sehen. Der Russe ließ einen nachts ohnehin in Ruhe. Hinter den Baumwipfeln kündete ein erster rosa Schimmer vom anbrechenden Septembermorgen.
    „Die haben sich wahrscheinlich verpisst!“ murmelte Werner. „Wir haben denen derart die Ärsche aufgerissen, dass keiner mehr da ist. Die warten auf uns im nächsten Dorf, ich sag’s euch!“
    Jemand zischte, Werner solle seine verdammte Schnauze halten. Anton wünschte ausnahmsweise flehentlich, das Arschloch

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