Die schlafende Stadt
vom vielen Essen, besonders der Speck und die Zwiebeln, in denen die Lammkeule geschmort gewesen war, stießen ihm lautstark rollend auf, von den drei Krügen Braunbier ganz zu schweigen. Das würzige Weißkraut lieferte an seinem hinteren Ende den dazu passenden Rhythmus. Van der Voort, der holländische Holzhändler, hatte heute Abend Einiges springen lassen, und er hatte es genossen. Jetzt spannte sein Bauch und ihm war etwas schwindelig. Ein erneuter langgezogener Furz brachte ihm etwas Erleichterung. Eine stinkende Wolke von fauligem Abgas erfüllte die Stube.
Ihm war das egal. Seine Perücke rutschte auf seinem verschwitzten Kahlschädel hin und her und juckte. Müde und betrunken wie er war, wollte er nur noch ins Bett. Geistesabwesend pulte er sich mit seinem Fingernagel Fleischfasern aus den Zähnen.
Agnes, seine gewichtige Haushälterin trat nochmals ein, im Gefolge eines jungen, schlanken Mädchens. Trotz seines benebelten Geistes bemerkte er, dass sie neben dem eher strengen, etwas männlichen Gesicht eine ordentliche Figur mit großen Brüsten besaß.
„Theresa Frauendorff, gnädiger Herr.“
Das junge Mädchen machte einen Knicks.
Heidegger sagte zunächst gar nichts, er war in die Formen der jungen Frau versunken und außerdem zu dieser fortgeschrittenen Stunde äußerst langsam.
„Wie alt bist du, mein Kind?“ nuschelte er schließlich.
„Sechzehn Jahre, Euer Ehren.“
„Gut. Gut.“
Seine überlasteten Innereien schickten ihm einen Anflug von Übelkeit und dazu noch ein heftiges Stechen in der Galle. Er bedeutete seinem Personal zu verschwinden.
„Ich gehe zu Bett. Alles weitere morgen.“
Agnes musste ihn stützen, als er in sein Schlafgemach ging. Er ließ sich ins Bett fallen und Agnes den Rest besorgen: Sie half ihm die Schuhe auszuziehen, Rock und Perücke abzulegen, und breitete schließlich die Decke über ihn. Dann löschte sie das Licht. Er ließ alles im Dämmerzustand über sich ergehen. Noch in Einschlafen stellte er sich vor, wie das neue Mädchen wohl nackt aussehen mochte. Er liebte große Brüste. Sein unter dem fetten Bauch halb eingeklemmter, klebrig verschwitzter Penis zuckte leicht. Dann fiel er in einen tiefen, komatösen Schlummer.
Den kommenden Vormittag verbrachte er im Bett. In der Nacht hatte er den größten Teil des vorzüglichen Wirtshausmahls wieder von sich gegeben. Jetzt war sein Lager wieder hergerichtet. Agnes versprühte wohlriechendes Parfüm im Gemach, nachdem der größte Teil des Gestanks des Erbrochenen durch die geöffneten Fenster hinweggezogen war. Heidegger saß, den schmerzenden Schädel mit kühlenden Tüchern umwickelt, in seinem Bett und ließ seine schlechte Laune am Dienstpersonal aus. Er hatte nicht die geringsten Probleme damit, sich bedienen zu lassen, aber er hasste es, Schwäche zu zeigen. Ebenso ertrug er es nicht, Fehler gemacht zu haben. Der Wein war schlecht, das Fleisch verdorben gewesen, beschloss er. Der Gastwirt werde dies noch bereuen. Und Van der Voorts Freihandelszone, der er gestern so großzügig zugestimmt hatte, würde er auch nochmals überdenken. Die Dienstboten knurrte er an, er fluchte und drohte, spie und sabberte.
Für Theresa, die neue Kraft, war es nicht einfach, es war ein denkbar ungünstiger Einstand. Sie war aber klug genug, die Launen des ehrenhaften Richters klaglos hinzunehmen, auch als er ihr das Tablett mit dem Gebäck aus der Hand schlug, das ihm zu bringen ihr aufgetragen war. Ob sie ihn umbringen wolle, brüllte er sie an, ihm, krank am Magen, solch schwere Kost anzubieten, nannte sie eine idiotische Gans und warf sie aus der Kammer. Kurz danach verlangte er nach der Bettpfanne und herrschte sie an, weil es ihm nicht schnell genug ging. Brummend ließ er sich dann aber von ihr abwischen. Ihre schlanken Hände an seiner blanken Kehrseite gefielen ihm.
Des Nachmittags ging es ihm wieder besser. Mit trübem Blick las er seine Post durch und diktierte seinem Schreiber die Antworten. Die leichte Gemüsebrühe, die Theresa ihm kredenzte, schlürfte er gnädig, ohne weitere Worte zu verlieren.
Der nächste Tag brachte den Tod in den Gerichtssaal zurück. Richter Heideggers Gnadenlosigkeit kannte diesmal keine Grenzen, noch weniger als sonst. Giftig registrierte er die verhalten empörten Gesichter im Saal, die gerunzelten Stirnen, die zweifelnden Blicke. Missbilligte man etwa seine Entscheidungen? Hatte man Mitgefühl mit jenen Ratten in Menschengestalt? Fühlte man sich verbunden mit jenen, die
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