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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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stehen.
    Theresa starrte ins Leere. Ihr ganzer Körper war hart und verkrampft. Sie atmete kurz und flach. Ihre Fäuste waren so geballt, dass ihre Fingernägel sich bis aufs Blut in ihre Handflächen gruben. Kein Wort, kein Laut war die ganze Zeit über ihre Lippen gekommen.
    „Dafür werde ich dich töten!“ flüsterte sie jetzt unhörbar.

    Der ehrenwerte Richter Heidegger verbrachte eine ruhige Nacht und hatte den darauffolgenden Tag glänzende Laune. Er brachte eine Depesche auf den Weg, dass er diesen Vormittag unabkömmlich sei, erledigte die übliche Post und unternahm einen Spaziergang, was für ihn höchst ungewöhnlich war. Er fühlte sich heute wie verjüngt und genoss er förmlich, seine übliche Behäbigkeit wenigstens für eine Stunde einmal abzuschütteln.
    Zwischendurch malte er sich aus, wie Theresa wohl in einem edlen Kleide aussehen mochte. Rosa vielleicht? Purpur womöglich? Oder jenes türkische Blaugrün, das so mystisch wie ein tiefer See aussah? Er machte sich auf zu seinem Schneider, der ob des hohen Besuches fast erschrocken aussah. Dies wandelte sich aber, als er von seinem Auftrag erfuhr und er versprach, das blaugrüne Kleid gleich in Angriff zu nehmen. Diskrete Lieferung inbegriffen.
    Heidegger war zufrieden. Theresa würde reizend aussehen. Damit würde sie seine wahre Größe erkennen, und ihm würde es eine Freude sein, ihr dieses Kleid nach und nach auszuziehen, um sich dann an den göttlichen Früchten der Lust zu ergötzen.
    Danach war er hungrig und durstig und genoss in einem Gasthaus einen gebratenen Vogel mit Klößen und einem guten Bier. Dass diesen Vormittag Hinrichtungen durchgeführt worden waren, vermochte seinen Appetit nicht zu bremsen.
    Seine Kutsche brachte ihn zum Gerichtshof. Selbstbewusst erklomm er die Stufen.
    Wegener trat aus dem Schatten des Einganges auf ihn zu.
    „Die Hinrichtung ist vorüber.“
    Ohne Gruß und voll unterdrückter Verachtung.
    „Gott zum Gruße, werther Herr Wegener“, antwortete der Richter. „Ich erfahre erst jetzt von der entsetzlichen Wahrheit! Verurteilt nicht mich dafür. Ich tat sofort alles, was mir möglich war, um eine Aussetzung zu erwirken!“
    „Ihr wart heute Morgen nicht zugegen! Selbst heute wäre es noch möglich gewesen, die Vollstreckung zu verhindern!“
    „Ich war heute Morgen verhindert, werther Herr! Ich bin ein vielbeschäftigter Mann! Ich sandte gestern Abend noch eine richterliche Verfügung! Mehr steht nicht in meiner Macht!“
    Der Weinhändler starrte ihm in die Augen.
    „Gott sei Ihrer Seele gnädig!“ zischte er und marschierte stechenden Schrittes die Stufen hinab.
    „Erfrecht euch nicht zuviel“, murmelte Heidegger.

    Der Abend verlief für den Richter anders als geplant. Wohl mundete das Abendessen mit einem von Wegeners Weinen noch gut. Heideggers Hand strich in Vorfreude über sein Geschlecht unter seiner Hose. Nach dem Nachtisch würde er wieder eintauchen in jenes wunderbare feuchtwarme Reich der Lust. Er fixierte spitz Theresas herrliche Paradiesäpfel unter ihrem Mieder.
    Jedoch schwand seine Geilheit schon kurze Zeit später. Sein Magen fühlte sich alsbald schlecht an, so als habe er anstatt der leichten Forelle Kleister gefressen. Außerdem wurde ihm kalt und er zitterte. Er wankte schon früh in sein Schlafgemach, ließ sich zusätzliche Decken bringen Er verfluchte seine Dienerschaft, die es nicht fertigbrachte, es ihm behaglich zu machen. Agnes brachte ihm schließlich eine Wärmflasche, die er sich zwischen die Beine schob. Er versuchte, sich auf zotige Gedanken zu konzentrieren, aber sein benebelter Geist machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sein Geschlecht blieb klein und mickrig. Erst gegen Morgen verfiel er in einen unruhigen Schlaf.

    Der Sonntagmorgen brachte ein wenig Besserung. Da sein Magen immer noch krampfte, und sein Darminhalt auf flüssige Weise aus ihm herausgekommen war, war er matt und bleich. Dennoch machte er sich zum Kirchgang fertig, den er zwar zutiefst geringschätzte, dessen moralischen Wert er aber für sich zu nutzen verstand. Frömmigkeit zahlte sich immer aus in der Gesellschaft, besonders bei einem Apostel der Gerechtigkeit wie ihm. Die Magenmedizin, die Theresa ihm brachte, stürzte er mit Todesverachtung hinunter.
    Bereits in der Kutsche fiel ihm das Atmen schwer. Nun, es war kalt diesen Morgen, der Tag war klar und sonnig, doch der November stand vor der Tür. Er versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen.
    Die Schritte bis zur Kirche

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