Die schlafende Stadt
Gewölbes, lauschte er, kribbelnd vor Erregung, den Schritten, die sich jetzt näherten.
Als Vampyr fährst zur Erde du,
Dein Leichnam hat im Grab nicht Ruh,
Gespenstisch schleicht er durch dein Haus,
Saugt's Herzblut all der deinen aus,
Daß Schwester, Mutter, Gattin hold,
Tief nachts der Lebensstrom entrollt;
Doch deinem Leichnam, kraß und fahl,
Soll Ekel sein solch Henkersmal;
Dein Opfer soll in dir, eh's starb,
Den Dämon kennen, der's verdarb;
Dir fluchen soll's, du sollst's verdammen,
Kein Sproß soll deinem Haus entstammen ...
Von hag'rer Lipp' und eklem Zahn
Träuft's beste Blut der deinen dann,
Bis heimgejagt ins Grab voll Grausen,
Du mit der Höllenschar mögst hausen,
Die vor'm Gespenst, mehr fluchenswert
Als sie, sich schaudernd abwärts kehrt.
Lord BYRON, The Giaur
R obins Muskeln hatten bereits einen imposanten Umfang. Die unzähligen Stunden, die er an den Trainingsmaschinen bisher verbracht hatte, hatten Erfolg gebracht.
Befriedigt betrachtete er sich im Spiegel. Das war doch wahrhaftig mehr, als ein gewisser schwächlicher, verkopfter Schriftsteller zu bieten hatte. Anerkennend prüfte er die dicke, ausladende Beule in seiner Hose. Selbst so mancher Neger würde ihn darum beneiden. Er konnte es noch immer nicht fassen, was Leni, die er einst so angebetet hatte, für eine dämliche Schnepfe war. Fiel auf schöne Worte rein, wo sie doch einen echten Mann haben konnte! Blöde, idiotische Kuh!
Darüber hinaus betrachtete sich Robin nach wie vor als künstlerisches Multitalent. Er träumte bereits von der eigenen Landarztpraxis mit überregionalem Klientel, das von seiner vielschichtigen und sensiblen Beratung angelockt wurde. Das Wartezimmer würde mit eigenen Gemälden dekoriert sein, seine ganzheitliche, unnachahmliche Art der Beratung würde die größten Skeptiker beeindrucken. Ein Künstler und Literat, der Mediziner ist – welch eine Mischung! Schon Einstein war ein Musiker, der Physiker wurde. Aus solchen Kombinationen ergaben sich die wahren Erneuerungen, ja Revolutionen der Wissenschaft.
Seinen Eiweißriegel kauend schlenderte er nach Hause. Den unangenehmen Gedanken, dass er vermutlich noch viele Jahre von seinem groben, selbstgefälligen Klotz von Vater abhängig sein würde, schob er energisch beiseite. Wenn er einst Kinder hätte, würde er sie auch großzügig fördern. Das gehörte zu elterlichen Aufgaben. Sein Vater sollte froh sein, in einen aufstrebenden Geist wie ihn investieren zu dürfen.
Nach wie vor war er noch überaus wütend. Die große Karriere würde zwar kommen, lag leider noch zu weit entfernt, als dass er es jetzt schon all denen zeigen konnte, die einen Denkzettel verdienten. Seinem Vater würde er die Ohrfeigen, die er noch immer von ihm bezog, niemals verzeihen. Leni musste ebenfalls bestraft werden. Ob sie wohl sehr litte, wenn sie ihre große Liebe Berthold verlöre?
Der Gedanke entzückte ihn, denn Berthold stand jetzt endgültig auf seiner Racheliste. Wenn Berthold etwas zustieße, könnte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Vielleicht könnte er dann sogar als Tröster auftreten? Und dann, wenn sie sich ganz an ihn anlehnte, eiskalt absägen? Das wäre ein Triumph!
Robin machte einen Abstecher zur Videothek. Heute brauchte er etwas Geistiges, Musisches, etwas, was sich Proleten wie Stationspfleger Ulrich niemals ansähen. Er entschied sich für „Citizen Kane“, ein Film, von dem er bereits viel gehört, ihn aber noch nie gesehen hatte. Nun, künftig würde er auch da mitreden können.
Nach der ersten halben Stunde erkannte er, dass „Citizen Kane“, ganz offenbar überhaupt nicht sein Fall war. Er fand ihn erst langweilig, dann bedrückend. Das sollte laut diverser Filmkritiker einer der besten Filme aller Zeiten sein? Er merkte, dass die Geschichte des strebsamen Erfolgsmenschen, der trotzdem immer einsam ist, etwas in ihm anrührte, das ihm überhaupt nicht gefiel. Dennoch sah er sich den Film bis zum Ende an, mit dem Ergebnis, dass er heulend in seinem Sessel saß.
„Rosebud“.
Das Wort würde ihm ab jetzt immer die Tränen in die Augen treiben. Jetzt fühlte er sich einsam und allein, wie von aller Welt verlassen. Dann fluchte er wieder über all jene, die ihm das angetan hatten.
Ob er Berthold doch verzeihen sollte?
Mit Hilfe dreier Dosen Bier war Robin schließlich doch in eine anheimelnde Stimmung übergewechselt. Jetzt war er rechtschaffen müde. Träge schleppte er sich in sein seit Wochen ungemachtes
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