Die schlafende Stadt
Ein Gefühl der Leichtigkeit breitete sich jetzt aus. Auf diese Weise könnte bald wirklich der ganze Spuk vorbei sein.
Außerdem: wer weiß, was noch alles möglich war, wenn Leni von Berthold genug hatte?
Robin zog es wenig nach Hause heute Abend. Seine ungemütliche, unaufgeräumte Wohnung war selbst ihm nicht mehr heimelig. Seit letzter Nacht fühlte er sich dort zudem sehr einsam und alleine.
Als er sich der Tür näherte, stieg ein unangenehmes, widerwärtiges Gefühl der Furcht in ihm auf. Er begann zu frösteln, als durchfahre ein eisiger Windhauch seine Kleidung. Irgendetwas Furchtbares war in diesen Räumen.
Er biss die Zähne zusammen und schalt sich eine Memme. Mit verkrampfter Faust öffnete er die Tür zu seinem Appartement und fingerte nach dem Lichtschalter.
Rational besehen war alles wie immer. Er hatte dennoch Schwierigkeiten, seine Wohnung überhaupt zu betreten. Sein Atem ging schnell und heftig, als bekäme er zu wenig Luft, und nichts vermochte ihn langsamer werden zu lassen.
Verflucht noch einmal, was war denn bloß mit ihm los? Er hatte nichts zu befürchten, alles war gut gegangen! Ja, er mochte Fehler gemacht haben, aber die Welt war halt so, wie sie nun mal ist. Und auch er reagierte nur auf Umstände. Wie auf diesen miesen Stationspfleger zum Beispiel.
Fluchend bemerkte er, dass seine Zähne klapperten. Er griff nach seiner Sporttasche und machte, dass er wieder fortkam. Ein wenig Training würde ihm gut tun. Er war sicherlich nur überarbeitet. Kein Wunder, bei dem vielen Kram, den er am Hals hatte. Andere würden viel früher schlappmachen als er.
Als er vom Training zurückkehrte, war er anfangs noch guter Dinge. Als er sein Heim betrat, ging es ihm sofort wieder schlecht. Es war besser als davor, aber immer noch war sein Unbehagen so groß, dass er sofort wieder überlegte, von diesem Ort zu fliehen. Doch wo sollte er hin?
Jetzt ging ihm auf, dass es kaum jemand gab, an den er sich wenden konnte. Seine Eltern? Höchstens seine Mutter. Doch die würde sein aktuelles Leid gar nicht verstehen. Und sein Vater würde ihn verspotten.
Und Berthold?
Verdammt. Berthold war einmal wieder der Einzige, mit dem er reden könnte, wenn er sich nicht mit ihm überworfen hätte.
Sein Weg führte ihn automatisch zum Kühlschrank, wo er seinen Biervorrat um eine weitere Dose erleichterte. Dann stellte er den Fernseher an und zappte sich durch die Programme. Er entschied sich für einen alten Western mit Errol Flynn, der eben erst begonnen hatte.
Angenehm ermüdet schleppte er sich schließlich ins Bett. Er war bereits eingenickt gewesen, und jetzt war ihm endlich alles egal. Er vergrub sei Gesicht in dem nach altem Schweiß riechenden Kopfkissen und mummelte sich in die Decke.
„Und ich brauch’ deine Erlaubnis doch nicht! Ätsch-bätsch!“
Robin fuhr kerzengerade aus seinem Bett.
Er war gerade dabei, einzuschlafen. Jetzt war er plötzlich hellwach.
Entsetzt starrte er ins Dunkel seines Zimmers. Sein Herz schlug jetzt bis zum Hals.
Es war nichts zu sehen. Er tastete nach seiner Nachttischlampe, um sich dann zu erinnern, dass er sie erst kürzlich umgestoßen hatte und dort, wie gewöhnlich, liegengelassen hatte.
„Brauchst du Feuer?“
Es war Rogers Stimme. Eindeutig. Doch es klang merkwürdig, wie als halte er sich die Hand vor den Mund. Glucksend, mühsam.
Jetzt plötzlich spürte er einen leichten Luftzug direkt neben sich, als atmete ihm jemand kurz und flach in den Nacken.
Robin fuhr herum. Panisch schlug er mit dem Arm neben sich, als wehrte er etwas ab. Doch er klatschte nur gegen die harte, kalte Wand.
Dann fühlte er eine feuchte, magere Hand auf seiner Schulter. Unfähig, auch nur einen Laut auszustoßen, verharrte er. Er vergaß, zu atmen, so sehr lähmte ihn das Entsetzen, das er jetzt fühlte.
Rogers Gesicht war direkt neben ihm. Er fühlte seinen Atem. Seine großen, hervortretenden Augen blickten dümmlich und traurig. Ein Tropfen Speichel verließ Rogers Unterlippe und benetzte Robins Arm, kalt und nass.
Robin erblickte jetzt nochmals das ganze Ausmaß seiner Tat. Rogers Gesicht war ebenso verschwollen und entstellt, wie er ihn heute in der Klinik gesehen hatte. Die gebrochene Nase lag halb auf der Seite, das linke Auge war halb zugeschwollen und dunkel verfärbt.
Jetzt, wo sie sich in die Augen sahen, lächelte Roger und entblößte dabei seinen zerschmetterten Unterkiefer, in dem mehrere Zähne fehlten.
„Mann, tut das weh!“ sagte Roger. Er sprach
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