Die schlafende Stadt
zärtlich strich er über den glänzenden Rand des Beckens.
Dann erst bemerkte er es.
Keinen Meter von ihm entfernt, auf einem brüchigen Mauervorsprung, saß eine rote Katze. Sie fixierte ihn mit ihren leuchtenden Augen. Darius stieß einen Schrei aus. Die Farbe brannte in seinen Augen.
Darius riss seinen Arm vor sein Gesicht, und dunkle Flecken und helle Blitze durchschossen ihn. Zitternd versuchte er sich an das Wasserbecken zu klammern, aber er fand nur die zerklüftete Klostermauer, strauchelte und landete auf dem abgelaufenen Treppenpflaster.
Nur langsam beruhigten sich seine Augen wieder. Der Schmerz hatte sich auf seine Schläfen und den Bereich über seinen Augen ausgeweitet und sein Kopf pochte wie wild. Zaghaft spreizte er seine Finger und lugte hindurch. Die Katze war verschwunden. Nur schemenhaft erkannte er seine Umgebung, die nun langsam wieder deutlicher wurde.
Als er sein normales Sehvermögen wiedererlangt hatte, sah er Beda kommen. Beda hob die Augenbrauen. „Was treibst du hier?“ fragte er.
„Ach, ich dachte, es täte mir gut, ein paar Schritte zu gehen“, antwortete Darius. Er versuchte ein Lächeln. „Leider war das wohl noch etwas zu viel für mich“, fügte er hinzu. Darius staunte über sich selbst, dass er Beda anlog.
Beda schürzte spöttisch die Lippen. „Und da hast du es dir hier bequem gemacht?“
„Mehr oder weniger“, scherzte Darius.
„Dann ist es ja gut, dass ich hier vorbeikomme, um dich aufzulesen. Es ist nämlich höchste Zeit. Der Morgen graut.“
„Du bist wie immer zur rechten Zeit am rechten Ort“, sagte Darius.
So träumte und wartete ich in endlosem Zwielicht,
obwohl ich nicht wusste, worauf ich wartete.
Howard Phillips LOVECRAFT, The Outsider
B erthold hatte ein tiefes Misstrauen gegen Psychotherapeuten, obwohl er Psychologie ausgesprochen interessant fand. Leider fand er seinen Argwohn nun bestätigt. Die Praxis von Herrn Dr. Bohlscheidt hatte er auf Empfehlung eines Großonkels von ihm aufgesucht, der diesen Psychotherapeuten noch aus seiner Schulzeit kannte. Wegen dieser alten Verbindungen hatte er auch einen schnellen Termin bekommen. Da war er froh, denn Psychotherapeuten galten allgemeinhin als völlig überlaufen. Er quälte sich durch ein enges, schlecht beleuchtetes Treppenhaus und fand sich in einem winzigen fensterlosen zellenartigen Wartezimmer wieder, das sorgfältig von einigen anderen, ebenso kleinen Zimmern abgegrenzt war. In einigen Nachbarzellen schienen sich andere Patienten zu verstecken. Berthold erhaschte einen kurzen Blick auf eine blonde Frau, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Das machte alles spannender, als es Berthold derzeit recht war. Er war so nervös und verschüchtert, dass er sich auf die Inhalte der Zeitschrift, die er sich genommen hatte, kaum konzentrieren konnte. Er zitterte innerlich und überlegte, ob er einfach weglaufen sollte, durch das düstere Treppenhaus heraus an die Sonne. Dann hörte er Stimmen, die verrieten, dass die vorhergehende Therapiestunde wohl vorbei war, und das Klappen von Türen. Minutenlang geschah nichts. Berthold studierte unruhig das Muster des Teppichbodens und versuchte, den Sinn der krakeligen gerahmten Zeichnungen an den Wänden herauszufinden. Sie sahen aus, als habe ein ungeübter Zeichner sich daran versucht, badende dickleibige Männer, die winzige Pimmelchen hatten, dafür aber riesenhafte Gießkannen schwenkten, zu Papier zu bringen, in dem er die Zeichenfeder an seinem Zehennagel befestigt hatte.
Endlich öffnete sich eine Tür. Ein älterer, schwarzgekleideter Herr mit Vollbart, goldener Brille, kahlem Schädel und ausgesprochen dickem Bauch begrüßte ihn dezent, aber freundlich, und geleitete ihn in ein kleines, ebenfalls sehr dunkles Zimmer. Die kassenärztlichen Formalitäten waren schnell erledigt, dann zückte er einen Block und fragte nach Bertholds Beschwerden. Die Schilderungen seiner Ängste entlockten ihm teilnehmendes Seufzen und verständnisvolles Nicken, eine Anzahl von Oh! s und besorgten Hochziehens der Augenbrauen, ohne dass der Therapeut emotional wirklich beteiligt wirkte. Gelegentlich schaute er minutenlang in die Ferne, um dann ruckartig wieder zum Geschehen zurückzukehren. Es folgten zahlreiche Fragen nach Berthold Eltern, nach Streits und Auseinandersetzungen. „Höre ich da ein ‚Verdammt noch mal’?“ hakte Dr. Bohlscheidt zuweilen nach, und konstatierte vielfach: „Das muss sehr bedrückend für Sie gewesen sein!“ oder: „das war
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