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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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telefonische Nachricht erhalten, ohne von seinen Dämonen der Angst heimgesucht zu werden. Dafür überfielen sie ihn hinterrücks am helllichten Tage. Er fuhr mit dem Fahrrad nach Hause und bog ahnungslos in eine Allee ein. Auf einmal hatte er eine unheilvolle Stimmung, als ob etwas passiert wäre. Die Baumreihen zogen an ihm vorbei, als saugten sie ihn in etwas hinein. Wie ein Sturz in die Tiefe. Plötzlich fühlte er es. Sein Fall ging ins Bodenlose, ohne dass es einen Halt gab. Verkrampft starrte er auf die Straße. Gleich, gleich würde er aufschlagen. Er fuhr immer schneller, immer panischer wurde sein Tempo. Die Angst hatte sich seiner in voller Kraft bemächtigt und er hätte schreien mögen. Immer fester stieg er in die Pedale, seine angsterfüllten Augen weiteten sich und die Tränen der Angst quollen heraus. Plötzlich stand ein kleiner Hund direkt vor ihm. Sein Herz setzte einen Schlag aus, er stieg in die Bremsen, sein Vorderrad verkantete sich. Berthold flog über die Lenkstange, seine Schläfe streifte schmerzhaft einen Baumstamm. Krachend landete er in einem Busch. Er spürte den salzigen Geschmack des Blutes in seinem Mund. Das Blut rann auch aus seiner Nase und tropfte auf seine Jacke und auf die Erde. Sein Schädel dröhnte, und für eine ganze Weile sah er nichts als bunte Flecken. Der Geruch von feuchter Erde war direkt an seinem Gesicht.
    „Verdammter Idiot!“ hörte er jemanden schreien, „schneller geht’s wohl nicht!“
    Berthold blinzelte und sah zuerst alles verschwommen. Als er sich aufrichtete, schmerzte jeder Knochen. Gebrochen hatte er sich aber wohl nichts. Der Mann mit dem Hund fuhr fort zu schimpfen, vulgär und ohne Mitleid. „Ist ja gut“, stöhnte Berthold. Er spuckte Blut. Der Mann interessierte sich nur für seinen Hund. Berthold hörte gar nicht auf den Inhalt des Geschreis. Bedächtig nahm er sein Fahrrad. Merkwürdigerweise war es unversehrt. Er stieg auf und fuhr. Das Vorderrad eierte etwas. Berthold prüfte seine Augen, kniff abwechselnd das eine und dann das andere zu. Alles in Ordnung. Sein Körper schlotterte noch immer. Gleichzeitig schüttelte er den Kopf über sich selbst. Welche Blüten trieb seine Panik noch hervor?

    Bertholds Ängste ließen ihn selbst an diesem Tag nicht los. Erst fand er keinen Schlaf, weil seine geschundene Wange und seine Schürfwunden ihn wachhielten. Dann träumte er einen merkwürdigen Traum, den Dr. Bohlscheidt zweifellos hochinteressant gefunden hätte. Selbst während des Traumes geisterte dieser Psychoanalytiker noch durch die Seele! Vielleicht stand er sogar Pate für den fetten, höhnischen Mann mit dem brutalen Gesicht, der Berthold ins Gesicht schlug.

    Berthold spürte deutlich jeden Schlag, spürte seine aufplatzende Haut und den perversen Spaß, den der Schläger dabei hatte. Der Schläger verlangte von ihm, er solle auf die Knie fallen und sich für irgendetwas entschuldigen. Berthold nannte ihn eine perverse Schwuchtel. Dies trug ihm einen Fußtritt ins Gesicht ein und zwei weitere in den Magen. Berthold krümmte sich auf dem Boden zusammen. Der Schmerz war kaum zum Aushalten. Er wartete auf etwas, aber es tat sich nichts. Nur nicht noch so einen Tritt! Sein Selbsterhaltungstrieb siegte über den Stolz. Winselnd rang er nach Worten der Entschuldigung. Der Kerl verlangte nochmals, dass er vor ihm niederknien solle. Mühsam richtete er sich auf und kniete.
    „Ich höre, Brückner!“
    „Es tut mir leid ...“
    „Wie war das?“
    „Es tut mir leid!“
    Es folgte ein weiterer Fußtritt in den Bauch.
    „‚Herr Unteroffizier’ heißt das!“
    Berthold röchelte. Er würgte und kotzte etwas aus.
    „Es ... es tut mir leid, Herr Unteroffizier.“
    „Na also. Warum nicht gleich? Verdammtes Arschloch! Jammerlappen! Kchrrrch...!“
    Bei den letzten Worten hatte der fette Kerl zu röcheln begonnen. Seine Augen traten aus den Höhlen und sein Gesicht verfärbte sich dunkelviolett. Durch den blutigen Schleier seiner trüben Augen und trotz des Schmerzes fing Berthold an, triumphierend zu grinsen. Der Offizier riss an seinem Kragen, rang nach Luft und ging in die Knie. Direkt vor Bertholds Gesicht landete der fette Schädel mit den hervorgequollenen, blutunterlaufenen Augen und der schwarzen, dick geschwollenen Zunge. Er würgte grünlichen Schleim hervor von unbeschreiblichem Gestank. Sein stierer, von der Gewissheit des Todes panikerfüllter Blick bohrte sich in Bertholds Augen.
    „Der arme Herr Heidegger!“ sagte eine

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