Die schlafende Stadt
für Ihr Kommen?“
Der Arzt blieb unbeweglich. „Mir wurde zugetragen, Sie seien schwer erkrankt. Es ist also zu klären, ob Sie von Ihrer Tätigkeit entbunden werden müssen.“ Er verzog keine Miene dabei. Es hörte sich an wie ein mechanisches Abspielen einer Schallplatte.
Darius unterdrückte seine aufsteigende Empörung.
„Sie sind falsch informiert. Mir geht es gut.“
„Es ist zu klären, ob Sie von Ihrer Tätigkeit entbunden werden müssen“, wiederholte der Weißkittel. „Ich muss Sie ersuchen, mich einzulassen und die Untersuchung vornehmen zu lassen.“
„Ich bedaure. Ich bin klar und wach und vollführe meine Arbeit zur besten Zufriedenheit“, erklärte Darius.
„Ich muss darauf bestehen, dass Sie mich meine Arbeit machen lassen“, gab der Kahlkopf monoton zurück.
„Das tue ich. Sie haben nun alle Information, die Sie benötigen. Zu mehr besteht kein Anlass. Nun muss ich meinerseits darum bitten, meine Arbeit machen zu dürfen. Eine gute Nacht.“
Damit schloss Darius die Observatoriumstür vor dem ausdruckslos dastehenden Arzt. Der sagte noch etwas, dessen Inhalt Darius nicht mehr hörte. Noch vor der geschlossenen Tür hielt er einen Monolog. Dann wurde es still. Es dauerte mehrere Minuten, bis Darius seine sich entfernenden Schritte auf dem Hof vernahm.
Darius war nun wieder unruhig. Wer mochte so genau über ihn Bescheid wissen? Wen interessierte dies überhaupt? Und woher wusste man etwas über seinen Gesundheitszustand? Ob Beda ...
Er konnte sich nicht vorstellen, dass Beda heimlich über ihn Bericht erstattete.
Dann tauchte eine verschwommene Erinnerung aus seinem Fieberwahn auf, eine schwarzgekleidete Gestalt, die ihn auf seinem Weg beobachtet hatte. Regungslos hatte sie in einer Nische gestanden, als er wankend und taumelnd innegehalten hatte. Aber wenn dies der Grund für das Erscheinen des Nervenarztes war, dann bedeutet dies, dass dieser Teil nicht seinem kranken Geist entsprungen war?
Am meisten aber überraschte ihn seine eigene Reaktion. Woher stammte der doch bisher so fremde Impuls, sich so zur Wehr zu setzen? War es etwas Neues an ihm oder war es nur bisher nicht nötig gewesen?
Darius hatte bald andere Dinge im Kopf. Einem Tag nach der Genesung war ungewohnte Unruhe im ehrwürdigen Observatorium. Das neue Fernrohr wurde geliefert, von dem er und Beda bereits geglaubt hatten, dieser Plan existiere nur auf dem Papier, um ihre Motivation nicht zu gefährden. Umso ungläubiger registrierte er nun die kräftigen Kerle, die die oft riesenhaften Kisten die Stufen empor trugen, und den ernst dreinblickenden Koordinator, der trocken seine Anweisungen gab. Mindestens eine Woche würde der Umbau dauern, und der Abbau des alten Fernrohrs zog sich nun bereits drei Nächte hin. Beda hatte sich in dieser Zeit dezent aus dem Staube gemacht und den Zeitpunkt seines Wiedererscheinens im Vagen gelassen. Für Ausflüge fühlte sich Darius noch zu matt, und seine angsterfüllten Erinnerungen bewogen ihn, die Zeit, die er nun den Technikern überlassen musste, der Entspannung zu widmen. Daher zog er sich in den Südturm zurück, den höchsten, ruhigsten Turm des Klosters, den er liebevoll als „seinen Rabenhorst“, bezeichnete. Tatsächlich ließen sich dort auf dem Dach ab und zu einige Raben nieder. Außer ein paar wenigen Schriften und einem bequemen Sessel befand sich dort nur ein kleines, aber starkes Teleskop, das für kleinere Beobachtungen des Firmaments durchaus taugte.
Mit zurückgelegtem Kopf ruhte Darius in seinem Sessel und betrachtete den klaren Sternenhimmel. Ein Sternenhimmel des Sommers. Die Milchstraße war ganz deutlich zu erkennen. Eine Nacht für Sternengucker. Doch was war Sommer? Eine Zeit des Jahres, wo der Himmel oft klarer war als sonst, weniger veränderlich, und wo die Katzen reger waren als sonst. Irgendetwas schwang in dem Begriff mit, aber er erinnerte sich nicht, was es sein könnte. Etwas Gutes, Positives war es. Aber was? Darius schaute auf die Stadt. Der Ausblick von hier war wundervoll. Der ganze Hafen war zu überblicken.
Darius durchzuckte plötzlich eine ketzerische Idee. Er setzte sich ans Fernrohr, und schwang es diesmal nicht himmelwärts, sondern nach unten. Es blockierte. Das Stativ war so konstruiert, dass es nur nach oben auszurichten war. Darius wollte sich aber heute nicht so beschränken lassen. Er kippte das Stativ nach vorne, schwankte dadurch hin und her. Schließlich schraubte er das ganze Fernrohr ab und legte es direkt auf
Weitere Kostenlose Bücher