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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Verwaltungsgebäude war bereits jedes Licht erloschen, nur noch einige Laternen davor und am Kai verbreiteten ein fahles, weißliches Licht. Boote waren nicht in Sicht. Darius hatte in der letzten Zeit wieder und wieder darüber nachgegrübelt, wie er wohl den Verbleib des schönen Mädchens aus dem fernen Boot herausfinden konnte. Jede Minute, die er nicht den Hafen im Auge behalten konnte, machte ihn nervös. Womöglich war sie längst eingetroffen und in irgendeinem entlegenen Winkel der Stadt untergebracht worden, den er kaum jemals finden würde. Der Gedanke, sie nie wiedersehen zu können, war eine einzige Qual für Darius. Aber zu der Bitternis, den sie verursachte, war eine Süße gekommen, die Darius so wach und lebendig machte, wie noch nie zuvor. Die Trägheit, die er sonst immer gefühlt hatte, war noch immer da, aber sie hatte deutlich abgenommen; er musste bewusst Müdigkeit heucheln, um nicht aufzufallen. Nur Abende wie der eben vergangene waren kritisch geworden. Seine Benommenheit war nicht mehr stark genug, um das simple Spiel als Unterhaltung zu empfinden; gleichzeitig drängte es ihn nach dem Ort seiner Sehnsucht, um ihre Ankunft nicht zu verpassen.
    Wie mochte sie heißen? Ein ketzerischer, ja unerhörter Gedanke kam ihm in den Sinn. Das Verwaltungsgebäude! Wäre sie angekommen, dann müsste dies verzeichnet sein! Und dies mit Namen und Adresse! Doch wie sollte er dorthin gelangen? Der Ort war für Nichtautorisierte verboten. Zum ersten Mal fragte er sich, warum. Was für einen Sinn nur sollte es machen, den Bürgern diese dort befindlichen Informationen zu verweigern? Auch seine eigene Ankunft vor unbeschreiblich langer Zeit würde dort irgendwo dokumentiert sein. Seine Ankunft! Von wo mochte er gekommen sein? Die hartnäckig verdrängte Frage hatte sich ebenfalls in letzter Zeit immer mehr gemeldet, wie ein verbannter Dämon, der nun zurückgekehrt war, um sein Spiel mit ihm zu treiben.
    Darius bemerkte die Helligkeit, die sich bedrohlich hinter dem Horizont erhoben hatte und sich über dem ganzen Firmament auszubreiten begann. Verflucht, er musste ins schützende Observatorium! Hastig erklomm er die nächste Stiege. Die fatale Mischung aus Betäubung und ungewohnter Wachheit hatte ihn zu lange ausharren lassen. Früher wäre er unbeirrt nach Hause getrottet, langsam, aber rechtzeitig. Das Tempo, mit dem er sich nun fortbewegte, war er nicht gewohnt. Schaudernd dachte er an seine panikartige Flucht von neulich, nachdem er einen Fieberschub bekommen hatte. Ruhig, nur ruhig! Panik brachte ihn jetzt nicht weiter. Keuchend hielt er an. Ein helles, leicht rötliches Licht hatte den Horizont erfüllt, von einer Helligkeit, die bereits jetzt den Schein des Vollmondes übertraf. Darius presste die Lippen aufeinander. Er sah nach oben. Das Observatorium befand sich noch gut eine halbe Meile entfernt. Er fühlte bereits die Hitze auf seinem Rücken, ein leichtes Brennen hatte sein Gesicht ergriffen. Ins Dunkel, nur ins Dunkel! Er flüchtete sich in den Schatten einer hohen Mauer.
    Darius überlegte fieberhaft. Er brauchte einen Unterschlupf, jetzt gleich. Das Observatorium konnte er unmöglich erreichen, das immer stärker werdende Licht würde ihn schier verbrennen. Ein kleiner, sehr steiler Weg, den er noch nie bemerkt hatte, schlängelte sich unterhalb des Klosters durch die Felsen, eine Art Saumpfad an der Felswand, jenseits der Häuser und fernab jedes bebaubaren Gebietes. Dieser verschwand in beträchtlicher Höhe in einer Art Grotte, oder zumindest einer Höhlung, die ihm Unterschlupf bieten könnte. Kurz entschlossen schritt er im Schutz des Mauerschattens auf die Felswand zu, atmete kurz und konzentriert, um dann schleunigst die letzten Ausläufer des Straßenpflasters hinter sich zu lassen und den Pfad zu stürmen.
    Das Licht brannte unerbittlich, er schlug den Kragen des Gehrockes hoch, um sein Gesicht zu schützen. Seine Beine rasten. Die Eile ließ ihn sämtliche Vorsicht vergessen. Der Pfad war ebenso steil wie eng, an der Seite fiel die Felswand bald hundert Meter steil ab. Peripher erkannte er, dass er bereits oberhalb der unbewohnten Steilküste war, dass tief unter ihm die Brandung gegen die schwarzen Felsen donnerte. Weiß spritzte die Gischt, die Wellen klatschten unerbittlich gegen den harten Stein, und hatten mit den Jahrtausenden bizarre Formen hineingegraben. Darius hastete weiter. Teilweise war der Pfad so schmal, dass er seine Hände zu Hilfe nehmen musste, um nicht

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