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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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gewichen. Darius fühlte sich plötzlich fremd und verloren. Doch in der Erwartung jener zauberhaften, wundervollen Gestalt hatte Darius’ Sein einen ganz neuen Sinn bekommen. Wo immer sie war, er würde sie finden.
    Bedächtig setzte Darius Fuß vor Fuß. Jetzt erschien es ihm unglaublich, mit welcher Vehemenz er erst vor wenigen Stunden diesen schmalen Pfad heraufgehastet war. Die Brandung direkt unter ihm brauste bedrohlich – die Felswand erschien ihm noch steiler und höher als zuvor. Jeder Schritt, jede Stufe erforderte Konzentration. Endlich wurde der Pfad breiter. Darius konnte sicherer vorangehen, bis er endlich wieder das vertraute Straßenpflaster unter seinen Füßen spürte.
    Der Mond war wieder aufgegangen und hatte die alte Pracht zurückbeschworen. Jetzt wirkte alles wieder ehrwürdig und majestätisch. Die Lichter waren wieder angegangen, das Leben regte sich in den Gebäuden und auf den Straßen.
    Er überlegte. Sollte er gleich zum Observatorium zurückkehren? Er versuchte sich die Wirkung auf Beda vorzustellen. Beda würde sich bestimmt seine Gedanken machen. Zu tun gab es noch immer nicht viel. Das Hauptobjektiv hatte nicht richtig fixiert werden können, weshalb Beda und er noch auf die Freigabe warteten und zunächst auf die kleineren Hilfsteleskope angewiesen waren. Auch Beda war stundenlang fort gewesen, und hatte die Zeit genutzt, um sich in der Zentralbibliothek zahlreiche Abschriften wichtiger Spezialwerke anzufertigen. Darius hatte an der Bibliothek nie sonderliches Interesse entwickeln können – verstaubte, endlose Gänge voller schlecht verzettelter Werke – selbst die Bibliothekare fanden das meiste nicht oder erst nach Stunden. Er fragte sich oft, was sie dort eigentlich trieben. Jedenfalls merkte man nicht viel von ihrem Wirken. Jetzt aber trieb ihn ein vorrangiger Gedanke dorthin. Vielleicht gab es Informationen über das Verwaltungsgebäude. Pläne vielleicht? Oder eine andere Möglichkeit, die Karteien einzusehen? Beda würde er einfach erzählen, er sei über dem Studium der Schriften in der Bibliothek eingeschlafen.

    Die Mondsichel stand hoch und leuchtend am Himmel, als Darius sich dem großen klassizistischen Kuppelbau näherte. Darius rauschte an der Ausgabe vorbei in den Lesesaal. Die Bibliothek hatte erst gerade geöffnet, und er war der erste Besucher.
    Der weißhaarige Bibliothekar döste offenbar noch. Erst nach mehrfacher Anrede erhob er langsam seinen Kopf von dem Schriftstück, über dem er gebeugt sinnierte, und registrierte langsam einen Besucher. Verständnislos starrte er eine ganze Weile durch Darius hindurch. Dann fanden seine Augen allmählich ihren Zielpunkt.
    „Kann ich Ihnen helfen?“ fragte er endlich.
    „Ja. Ich suche die Abteilung für Heimatkunde.“
    „Heimatkunde ...?“ Er schien erst überlegen zu müssen, was das Wort bedeutete. „Was meinen Sie damit?“ fragte er verständnislos.
    „Nun, es gibt doch sicherlich Bücher über unsere Stadt. Ich interessiere mich dafür.“
    „Ja, ja. Natürlich.“ Zerstreut fingerte er in einem Karteikasten. „Heimatkunde sagten Sie?“
    „Wie auch immer Sie es nennen. Literatur über unsere Stadt.“
    „Ah. Ja.“ Ungeschickt fummelte er sich durch die Karten. Dann hob er den Kopf.
    „Wir haben keine Abteilung für Heimatkunde“, verkündete er. „Ich kenne, ehrlich gesagt, den ganzen Begriff nicht. Woher haben Sie den?“
    „Ich weiß es selber nicht“, sagte Darius, „ich dachte, das nennt man so.“
    „Ja.“ Der Bibliothekar machte eine Pause. „Ich kann Ihnen also nicht helfen. Bedaure.“
    „Aber gibt es denn nicht irgendwo Bücher über unsere Stadt hier?“
    „Ach...! Über unsere Stadt ... ja, doch. Natürlich. Aber danach wird höchst selten gefragt.“
    Er blickte auf Darius, als sei das Thema damit beendet.
    „Nun, heute frage ich danach. Ich würde gerne etwas darüber lesen.“
    Der Bibliothekar war diese Hartnäckigkeit offenbar nicht gewöhnt. Geradezu ungläubig musterte er sein Gegenüber.
    „Die Bibliothek ist doch hier zum Lesen gedacht, oder?“ fragte Darius nach.
    „Ja ... natürlich. Sicher.“ Er befingerte wieder die abgegriffenen Karten. Es dauerte mehrere Minuten. Er schien kein Ende zu finden.
    „Gehen Sie zwei Treppen hoch und dann in den zweiten Gang links“, sagte er plötzlich. „Dort finden Sie ein paar Kunstbände über unsere prachtvolle Architektur. Sonst müssen Sie in die juristische Abteilung. Die ist über die Stiegen zu erreichen. Aber dort

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