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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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finden Sie nur Gesetzestexte über unsere Verfassung. Teilweise auch noch in der Alten Sprache. Mehr haben wir nicht.“
    „Vielen Dank. Zwei Treppen und dann links sagten Sie?“
    Keine Antwort. Der Bibliothekar hatte sich bereits wieder in sein Schriftstück vertieft.

    Die gusseiserne Wendeltreppe gab einen eigenartigen Klang von sich. Jede Stufe hatte die Ahnung eines jeweils anderen Tones. Eigentlich völlig ungeeignet für eine Bibliothek. Doch entweder waren die Lesenden derartig vertieft in ihre Lektüre, dass es sie nicht störte, oder aber es waren gar keine da, so wie jetzt. Darius fiel auf einmal auf, dass er auf Klänge noch niemals bewusst geachtet hatte. Dass er ausgerechnet in der Bibliothek darauf kam, war ein komischer Zufall. Doch er hatte jetzt anderes im Sinn. Dennoch war es ihm unangenehm, als einziger in dem riesigen Gebäude sich durch laute Schritte bemerkbar zu machen. Er erreichte das erste Stockwerk und setzte seine Füße nun behutsamer auf. Nahezu lautlos stieg er höher. Dann erreichte er den zweiten Stock. Die Treppe endete hier. Die höheren Stockwerke waren nur noch durch Leitern zu erreichen, die in bedrohlicher Nähe zur Brüstung aufgestellt waren.
    Die Wendeltreppe hatte ihn bis an den Anfang der großen Kuppel geführt, wo eine Balustrade den Rundgang nach innen begrenzte und Aussicht auf die gesamte Halle gewährte; nach außen gerichtet führten lange Gänge sternenförmig von der Mitte weg bis dass sie schließlich bis fast an die Außenmauer stießen, aber noch soweit Abstand wahrten, dass ein schmaler Durchgang frei wurde, der es ermöglichte, den nächsten Gang von hinten zu betreten. All dies ließ erahnen, wie groß die Kuppel tatsächlich war.
    Wie er befürchtet hatte, gab es keinen eindeutig auszumachenden „zweiten Gang links“. Es war nicht klar, ob der der Treppe nächste Gang bereits mitzuzählen war oder nicht. Außerdem waren jeweils drei Gänge durch eine halbkreisförmige Nische zusammengefasst, so dass unklar war, ob sie als ein Gang zu verstehen sein sollten oder einzeln für sich standen. Zwischen den Nischen befand sich eine Art schmale Apsis, die jeweils die schneeweiße alabasterne Büste unbekannter Denker beherbergte. Darius wandte sich nun zuerst nach links und begutachtete den zweiten Gang. Die Bücher waren jahrzehntelang nicht angerührt worden, so verstaubt waren sie. Außerdem waren die meisten mit einem weißlichen Belag überzogen, der sich bei Berührung in eine schmierige, fettige Substanz verwandelte. Das eine oder andere Buch ließ sich sogar eindrücken, als bestünde es nicht aus Leder und Papier, sondern aus einer weichen, knetbaren Masse.
    Darius fühlte sich unbehaglich. Es war, als störte er die lange tiefe Ruhe der Bücher. Jedes Geräusch, jeder Atemzug wirkte hier unpassend. Doch er verwarf seine Bedenken. Schließlich wollte er etwas herausfinden, und die Bibliothek war ja nun einmal für die Bürger da. Entschlossen zog er eines der Bücher aus dem Regal und wischte den Belag vom Buchrücken. Die schmierige Masse des Belages hatte eine Art pelzige Haut gebildet und legte sich beim Abwischen in feine Falten, wobei durch die entstehenden Risse eine nasse, schleimige Paste von undefinierbarer blasser Färbung hervorquoll und an Darius’ Handrücken kleben blieb. Er unterdrückte den Ekel und inspizierte das Buch. Kein Titel, nichts. Einige Unebenheiten verrieten, dass ursprünglich eine Prägung vorhanden gewesen war. Darius schlug das Buch auf. Die Seiten waren brüchig und verfleckt. Lettern waren nicht zu entdecken. Einige fade Strukturen verwiesen darauf, dass die Seiten tatsächlich einmal bedruckt gewesen waren, aber durch irgendeinen chemischen Prozess hatte sich die Druckerschwärze fast vollständig verflüchtigt. Was geblieben war, waren einige handschriftliche Bemerkungen, die ein unbekannter Leser einst an den Rand geschrieben hatte. Aber auch sie gaben keinerlei Hinweis darauf, wovon das Buch eigentlich handelte, zumal sie kaum zu entziffern waren. Darius schloss das Buch und stellte es zurück. Die anderen Bücher schienen ebenso ihr einstiges Wissen verloren zu haben. Darius ging durch die Reihen und machte noch ein paar Stichproben. Nichts als leere, halbvermoderte Seiten.
    Er erreichte das Ende des Ganges, der sich zunehmend, ganz im Sinne des sich öffnenden Sternes, verbreitert hatte. Dort wandte er sich abermals nach links und inspizierte den sich dort anschließenden Gang. Wieder fand er dort nur die namen-

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