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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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zu Leni herunter. Er roch nach Rasierwasser, Schweiß und Nikotin. „Sie werden der Polizei sagen, dass Sie sich an nichts erinnern. Haben Sie verstanden?“
    Leni stellte fest, dass er dicke Tränensäcke hatte. An seinen hängenden Augenlidern waren mehrere kleine Warzen. Seine kalten grauen Augen bohrten sich in die ihren.
    „Es sollte nicht zu Ihrem Schaden sein. Ich bin bereit, es mich etwas kosten zu lassen. Wären Sie mit fünftausend Mark einverstanden?“
    Er wartete wieder etwas ab. Ein Blick auf die zitternden Lippen sagte ihm, dass er keine konkrete Antwort erhalten würde. Er erhob sich.
    „Wir werden noch über den Preis sprechen. Erholen Sie sich jetzt. Und denken Sie daran, was Sie aussagen werden: Sie erinnern sich an nichts! “
    Nochmals näherte er sein Gesicht.
    „Und wenn Sie Robin in irgendeiner Weise schaden, dann sind Sie tot!“
    Sein Gesicht sah überaus brutal dabei aus. Leni konnte jede Ader in seinen Augäpfeln erkennen. „Darauf gebe ich Ihnen mein Wort!“ Er spie die Worte geradezu in ihr Ohr.
    „Und jetzt: Schlafen Sie gut!“ Ruckartig schnellte er nach oben. „Bis bald!“ Dann entfernte er sich und verschwand. Niemand bemerkte ihn. Ruhig, kein bisschen langsamer als sonst, durchschritt er die Korridore, wartete auf den Fahrstuhl und begab sich nach draußen. Heribert Frauendorff gehörte nicht zu den Menschen, deren Vorhaben durch andere gestört oder behindert wurde.

    Bertholds Panikattacken hatten eigenartigerweise vorerst aufgehört. Der Sog der zwar dramatischen, aber greifbaren Ereignisse hatte die irrealen Gespenster vertrieben. Die brutale Realität hatte ihn aber von seinem Roman völlig abgebracht. Nichtssagend und weltfremd kam ihm sein Geschreibsel vor, wie eine reine Zeitverschwendung. Dass damals sein Romanerstling gleich ein beachtlicher Erfolg geworden war, erschien ihm ebenfalls unwirklich. Lediglich die Tatsache, dass das Buch immer noch überall zu kaufen war, sagte seinem Verstand, dass er irgendetwas wohl können müsse. So, als ob er sich versichern müsste, dass er nicht geträumt hatte, schlich er durch einige Buchhandlungen. Ja, da stand sein Werk, „Die blaue Violine“, ganz eindeutig. In einigen Jahren würde sich vermutlich kein Mensch mehr daran erinnern.
    Diesen Abend traf sich Berthold mit Margit. Wieder war sie sehr distanziert. Sie wich vor seinen zärtlichen Berührungen zurück. Den Kopf drehte sie weg, als er sie küssen wollte. Zusammen aßen sie in einem indischen Restaurant. Das Essen war köstlich, die Atmosphäre war gut, und Margit wurde etwas gesprächiger als sonst. Angeregt erzählte sie von neuen Konzertprojekten, und dass sie eine Möglichkeit habe, demnächst in der Oper vorzusingen. Berthold sah sie unmittelbar vor sich, umgeben von Heldentenor und anderen gierigen Kollegen, die nur darauf warteten, ihre erigierten Schwengel in sie zu schieben. Sie schien ebenfalls mit dieser Vision zu liebäugeln und beobachtete interessiert Bertholds Reaktion. Berthold enttäuschte sie auch diesmal nicht. Es tat ihm weh, und er war kein guter Lügner.
    Nur, dass er diesmal plötzlich sagte: „Ich glaube, wir passen nicht zusammen.“
    Margit war überrascht. „Ach? Wieso?“
    „Weil ich das nicht aushalte. Das ist für mich keine Beziehung. Ich möchte dich jeden Tag sehen, und nicht nur einmal die Woche. Du scheinst dieses Bedürfnis nicht zu haben. Ich schon.“ Er war selbst überrascht über seine Worte. Er spürte wohl seinen Schmerz, aber er war zornig.
    Sie beobachtete ihn aufmerksam. Irgendetwas ging in ihr vor. Ihre Hand glitt langsam über den Tisch und ihr Finger strich sanft und sinnlich über Bertholds Handrücken.
    „Es tut mir leid. Ich möchte dir nicht wehtun.“
    „Warum tust du es dann?“
    Sie schwieg. „Vielleicht haben wir einfach unterschiedliche Vorstellungen von Liebe“, sagte sie schließlich.
    „Wie soll eine Liebe funktionieren, wenn man sich nicht sieht? Wenn man sogar, so wie du, offenbar geradezu abgestoßen ist, wenn es zu eng wird?“
    „Ich bin nicht abgestoßen. Du bist mir nur zu besitzergreifend. Ich brauche nun mal meine Freiheit.“
    „Wenn du das meinst, dann musst du diese Freiheit halt haben. Nur ohne mich.“
    „Vielleicht ist das so.“ Sie strich wieder über Bertholds Hand.

    Berthold fuhr Margit nach Hause. Er parkte sein Auto vor ihrer Haustür. Er ahnte bereits, was kommen würde, und war hin- und hergerissen zwischen Ablehnung und Erregung. Margit wandte sich zu ihm, die Augen

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