Die schlafende Stadt
halb geschlossen und die Lippen leicht geöffnet.
„Das war sehr schön heute. Vielen Dank.“ Sie sagte es ungewöhnlich sanft. Ihre sonst eher tiefe Stimme war auf einmal hoch und sehr weiblich. Ihre vollen Lippen luden ihn förmlich ein.
Berthold konnte nicht anders. Ein warmes Gefühl der Leidenschaft stieg in ihm auf, liebevoll und unerbittlich. Er beugte sich zu ihr hin und küsste sie. Sie umschlang ihn und schob ihre Zunge in seinen Mund.
„Hast du Lust, noch etwas mit hinein zu kommen?“
Berthold hatte Lust. Herzklopfend folgte er ihr durch die Haustür in ihre Wohnung. Er umschlang sie von hinten. Jetzt auf einmal lachte sie und wandte den Kopf zu ihm. Sinnlich benetzte ihr feuchter Mund seine Lippen. Seine Hand strich über ihre kleinen festen Brüste. Ihr Mund lächelte, ihre Augen schlossen sich. Sie verstärkte die Bewegungen ihrer Zunge. Dann zog sie ihn aufs Bett.
Plötzlich war alles perfekt. Sie stöhnte lustvoll, als Berthold ihre nackten Brüste streichelte. Widerspruchslos lies sie sich die Jeans abstreifen, sich zwischen den Beinen liebkosen, ihren Bauch, ihren Rücken, ihre Füße, ihre runden Hinterbacken. Seit zwei Monaten liebten sie sich endlich wieder.
Leni schlief. Erstmalig war es wieder ein erholsamer, tiefer Schlaf ohne erschreckende Bilder und bedrohliche Visionen, obwohl der Tag aufregend gewesen war. Die Polizeibeamten, die an ihrem Bett gesessen hatten, waren sehr nett gewesen, hatten ihr viele Fragen gestellt, aber gemerkt, wie schwach und verstört sie noch war. Wie ihr aufgetragen war, hatte sie nichts gesagt. Es war glaubwürdig, dass sie nach dem erlittenen Schock eine Amnesie hatte. Insgeheim wollte sie auch gar nichts sagen. Sie wollte nicht daran denken, sie wollte, dass alles vorbei war. Ein Trick ihres Geistes, um sie zu schützen. Sie lag in ihrem Bett, behütet und geborgen, um gesund zu werden.
Eine Hand strich zärtlich über ihre Wange. Ganz sanft war es, geradezu schüchtern. Sie fuhr durch ihr schwarzes Haar, strich die Schläfe entlang, und berührte ihre Schulter.
Ohne aufzuwachen öffnete Leni die Augen.
Direkt bei ihr saß ein junger Mann und sah sie an. Er hatte ein markantes Gesicht, mit hervorspringenden Wangenknochen und einer langen, geraden Nase. Seine Augen waren dunkel und melancholisch, und seine schwarzen Haare gingen ihm bis auf den Nacken. Er war altmodisch gekleidet wie in einem alten Film, und er lächelte sie an.
Beide sahen sich in die Augen. Leni hatte keine Angst. Sie wusste, er würde ihr nichts tun. Im Gegenteil, sie fühlte sich geschützt. Sie lächelte schüchtern.
Der Fremde beugte sich vor und küsste sie sanft auf die Lippen. Es tat gar nicht weh. Zärtlich war es, wie Balsam. Es war ihr, als ob er Leben in sie hauchte. Ihr Herz begann stärker zu schlagen. Ihr Blut rauschte durch die Adern, ihre Wangen färbten sich rot. Zaghaft tastete sie nach ihm. Ihre Hand griff ins Leere.
Leni schrak auf. Sie war allein im Zimmer. Es war dunkel, nur die grünlich schimmernde Notlampe erhellte einen Winkel des Raumes neben der Ausgangstür.
Sie schloss wieder die Augen, in der Hoffnung, den schönen Traum von gerade wieder herbeiholen zu können. Das Gefühl war geblieben. Friedlich schlief sie ein. Ein zaghaftes, leises Lächeln begann, ihre Mundwinkel zu umspielen.
Bist du auch weit fort von mir
bin ich dir doch nah
Und schau ich in die Ferne
stehst du vor mir.
Verlässt du mich
wohnst du in meinem Herzen
und meine Träne
ist süß.
Audomar KILLYWELL
D as Teleskop war nun bereits einige Zeit fertig, und so war der Arbeitsalltag in Darius’ Leben wieder eingekehrt. Wie gewohnt kartographierte er den Sternenhimmel. Er fragte sich, wie oft er dies noch würde wiederholen müssen. Es war anstrengend, die gleiche stoische Bereitschaft zu heucheln wie früher. Beda freilich war diszipliniert wie eh und je. Sorgfältig bedeckte er die Papiertafeln mit seiner Kalligraphie. Er ließ sich auch durch den Gong nicht stören, der einen unangemeldeten Besucher ankündigte.
Darius sah zu Beda hin. Nicht die geringste Reaktion. Bedächtig erhob er sich daher und ging zur Tür, lief die Wendeltreppe hinab und öffnete die untere Pforte.
Ein hochgewachsener Mann mit zerfurchten Gesicht und gewaltiger Hakennase stand im Hof. Seine Augen waren dermaßen hell, als habe er keine Iris in den Augäpfeln, die groß hervorstanden und sowohl oben als auch unten von faltigen Hautsäcken umgeben waren. Er sah aus wie eine menschliche Spinne. Sein
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