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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Sie schloss die Augen, stellte aber fest, dass ihr Erwachen unumgänglich war. Und mit dem Erwachen kamen die Schmerzen. Sie begannen am Kopf und im Nacken, dann kamen sie zu Mund und Nase, es folgten die Augen. Leni öffnete leicht den Mund. Sofort folgte ein stechender Schmerz in der geschwollenen Unterlippe. Auch das Atmen tat weh. Dann fühlte sie die Schmerzen im Unterleib. Wie eine giftige Wolke breiteten sie sich aus. Leni versuchte zu sprechen, brachte aber nichts hervor. Endlich, nach mehreren Anläufen, brachte sie ein leises Stöhnen hervor. Niemand war da. Vorsichtig begann sie mit kleinen Bewegungen. Dabei verspürte sie ein unangenehmes Ziehen in ihrer linken Armbeuge. Ein längerer, angestrengter Blick ließ sie erkennen, dass dies von einem Infusionsschlauch herrührte, der in ihrer Vene steckte.
    Nach längerer Zeit beugte sich endlich eine weißgekleidete Gestalt über sie. „Wir sind aufgewacht! Das ist ja wunderbar!“ sagte eine sonore, rauchige Altstimme. „Wie geht es Ihnen?“
    Leni sammelte alle Kraft, aber es reichte nur zum Flüstern. „Es tut weh“, sagte sie.
    „Ich gebe Ihnen etwas. Es wird gleich besser werden.“ Die Krankenschwester reichte ihr einen kleinen Plastikbecher. „Hier. Trinken Sie das.“
    Leni setzte zu einem weiteren Dialog an. „Was ist passiert?“ brachte sie mühsam hervor. „Wo bin ich hier?“
    „Sie befinden sich in der St. Sebastianus-Klinik. Sie haben drei Tage lang geschlafen. Wir sind sehr zufrieden mit Ihnen. Es wird Ihnen schon bald besser gehen.“
    „Aber warum ...“
    „Nicht so viel sprechen!“ unterbrach die Schwester. „Sie sind schwer verletzt. Aber es wird alles gut.“
    Leni spürte eine Ahnung von Erregung und Angst. Sie atmete schwer.
    „Sie werden gleich ruhiger werden. Ich habe Ihnen auch etwas Beruhigendes gegeben. Sie müssen viel schlafen.“
    „Was ist passiert?“ schluchzte Leni. Sie hatte Angst, alleine gelassen zu werden.
    „Es ist jetzt nicht wichtig. Aber was immer es war: es ist vorbei.“ Die Schwester erhob sich. „Schlafen Sie jetzt. Läuten Sie, wenn Sie mich brauchen.“ Damit legte sie einen länglichen Gegenstand an einem Kabel in Lenis Hand. Dann entfernte sie sich.

    Mit den Tagen wurde Leni wieder klarer. Ihre Schwellungen wurden weniger, ihre Kräfte kehrten langsam zurück. Auch die Nebel ihrer Erinnerungen lösten sich nach und nach auf, doch sie vermied es, dies zu schnell voranzutreiben. Ein Teil ihrer Seele wachte darüber, nicht von einer angstvollen Erinnerung überwältigt zu werden. Jedoch kam ein anderer Schmerz wieder zu Bewusstsein. Niemand kam sie besuchen, keiner aus ihrer Familie. Stattdessen erhielt sie Besuch von einem jungen Mann, dessen Namen – Berthold Brückner – sie noch nie gehört hatte.
    Leni erschrak bei der Ankündigung des Besuches. Ihr Herz schlug mit einem Mal heftig und ihr Körper krümmte sich angstvoll zusammen. Dann trat er ein. Erleichterung! Es war nicht derjenige, den sie befürchtet hatte. Da sie noch schwach war, verschwamm ihr zunächst alles vor den Augen. Ihr Herz schlug noch immer wie wild. Nein, diesen Mann hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Er wirkte auch nicht bedrohlich. Männlich wohl, aber er machte keine Angst.
    Er schien sie aber zu kennen. Freundlich lächelnd setzte er sich zu ihr ans Bett. Er wirkte unsicher, wie er sich wohl verhalten sollte.
    „Du wunderst dich wahrscheinlich, wer dich hier besucht.“
    Er sah nett aus. Schlank, markantes Gesicht, schmale Nase, dunkle Augen. „Ich habe dich gefunden, vor ein paar Tagen. Ich dachte damals, du seiest tot. Ich bin sehr froh, dass es dir besser geht.“
    Er konnte sehen, wie sich ihr Gesicht sofort schmerzhaft verkrampfte. Gleichzeitig fühlte er einen unbändigen Hass auf denjenigen, der sie so misshandelt hatte. Er biss sich auf die Unterlippe.
    „Wer war es? Kennst du ihn?“
    Leni schluchzte. Ihr Hals war wie zugeschnürt. Plötzlich schossen ihr tausend Bilder durch den Kopf. Das gierige Gesicht, der Faustschlag in ihr Gesicht, die nasse Zunge in ihrem Ohr. Und noch Schlimmeres. Sie schluchzte.
    „Junger Mann, was fällt Ihnen ein?“ ertönte auf einmal eine strenge Stimme undefinierbaren Geschlechts. „Ich sagte: ‚Äußerst behutsam und vorsichtig’!“
    Berthold sah sich auf einmal der hünenhaften Krankenschwester mittleren Alters von eben gegenüber, die offenkundig zu keinerlei Diskussionen bereit war. Er wusste, dass er oft die Tendenz hatte, mit der Tür ins Haus zu

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