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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Kinn war groß und hervorspringend, und sein in kurzem Bürstenschnitt gehaltenen Haare schlohweiß. Er war vollständig in eine lange Kutte gekleidet und trug darüber einen schwarzen Mantel.
    Es fiel Darius schwer, Gleichgültigkeit zu spielen. Die schwarze Kutte beunruhigte ihn.
    „Seien Sie mir gegrüßt. Ich suche Darius, den Astronomen.“
    Darius zuckte unmerklich zusammen. Die gleiche meckernde hohe Stimme wie in der Bibliothek!
    „Das bin ich.“
    „Aaaaah!“ Der Fremde bleckte beim Lächeln eine Reihe von unregelmäßigen, fauligen Zähnen. Es klang fast wollüstig.
    „Ich bin überaus erfreut, Sie kennenzulernen“, lispelte der Fremde. „Man hat mir berichtet, Sie verfügen über ... außerordentliche Fähigkeiten .“
    „Es freut mich ebenso, dass meine Arbeit Beachtung findet“, gab Darius zurück. ‚Ich bin ganz naiv!’ hämmerte sein Verstand, ‚Ich bin nur ein harmloser Astronom! Sonst nichts!’
    „Ich gestehe jedoch ein, dass mir diese Tätigkeit liegt. Es erfüllt mich sehr, die Sterne zu erforschen.“
    Der Fremde stand mit gefrorenem Lächeln da. „Die Astronomie ...“, hauchte er. Er beugte sich zu Darius. Sein Gesicht war so nahe, dass Darius die unzähligen Flecken auf seiner Haut sehen konnte. Das ganze Gesicht war wie gesprenkelt.
    „Wir ... wir haben Verwendung für Leute wie Sie.“
    „Verzeihen Sie“, sagte Darius, „wen bitte, meinen Sie?“
    „Ich habe um Vergebung zu bitten!“ bemühte sich der Fremde, „ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Ambrosius. Ich gehöre dem Orden der Jalán an, der Heiligen Ritter.“
    Er deutete eine Verbeugung an.
    „Sie sind erstaunt? Dies wundert mich nicht. Wir operieren gewöhnlich nicht in der Öffentlichkeit. Daher kennt man uns nicht. Höchstens flüchtig werden Sie uns vielleicht gelegentlich bemerkt haben.“
    Ambrosius starrte Darius unverwandt ins Gesicht. Als sehe er durch ihn hindurch.
    „Aber ich freue mich, Sie nun persönlich kennenzulernen. Ich habe einiges von Ihnen gehört.“
    Auf Darius’ fragende Miene fügte er hinzu: „Ihre wissenschaftlichen Leistungen, die Sie zusammen mit dem von uns ebenso geschätzten Beda vollbracht haben, sind uns immerfort zugetragen worden. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, solches in besonderem Maße zu achten.“
    Der Fremde machte eine einladende Bewegung in Richtung Hof. Darius folgte ihm bis zu den gotischen Fenstern und blickte mit ihm auf die Stadt.
    „Sehen Sie! Tausende von Häusern, Palästen und Institutionen! Und in allen befinden sich Menschen, Bürger, schützenswerte Kreaturen! Alle streben sie nach Sicherheit und Geborgenheit. Einige von uns weihen ihr Dasein dem Ziel, eben diese nur zu verständlichen Bedürfnisse zu garantieren.“
    Er wandte sich zu Darius. „Dies kann nicht eben jeder. Aber einige Auserwählte schon. Deswegen bin ich hier.“
    Den letzten Satz sagte er langsam und feierlich.
    „Ich fühle mich sehr geehrt, dass Sie mir Solches zutrauen“, sagte Darius, „aber dennoch bin ich erstaunt, wie Ihre Wahl auf mich fallen konnte.“
    Ambrosius blickte verklärt.
    „Das Meer bringt uns stetig neue Seelen, neue Bürger für unsere Welt. Andere Seelen, oh!, diese Unglücklichen!, verlassen uns, dies ist der Lauf des Seins. Jeder tut, was er kann, ganz im Sinne des Beisammenseins, auf dass jeder die Aufgabe ausfülle, die ihm gemäß ist. Die meisten eignen sich zum Leben und Arbeiten. Einige eignen sich zum Führen und Regeln.“
    Er sah durchdringend auf Darius, fast etwas spöttisch.
    „Sie könnten zu letzteren gehören.“
    Sein Blick ging zum Tor, das nach außen führte. Rechts und links davon lösten sich zwei kuttengewandete Gestalten aus dem Schatten. Beide machten eine leichte Verbeugung.
    Darius verneigte sich ebenfalls. „Ich bin überrascht, dass ausgerechnet mir diese Ehre zuteil werden sollte. Es bedeutet eine große Veränderung in meinem Dasein.“
    „Ich habe nicht erwartet, dass Sie gleich mitkommen. Stellen Sie sich auf Ihr neues Leben ein. Wir erwarten Sie zum Vollmond in der Burg. Fragen Sie nach mir, man wird Ihnen öffnen.“
    „Ich danke Ihnen. Ich werde da sein.“
    Ambrosius fixierte Darius noch mehrere Sekunden. Seine milchigen Augäpfel glotzten gierig aus ihren Höhlen. Er bleckte leicht die Zähne, als sich sein Mund zu einem Lächeln verbreiterte und zeigte dabei eigenartig schwärzliches Zahnfleisch.
    „Kein Wort darüber. Zu niemandem. Darauf muss ich bestehen.“
    „Ich werde mich dieser Ehre als

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