Die schlafenden Hüter - Das Marsprojekt ; 5
jedes Mal ein tagelanges Drama war, von dem längst keiner der Marssiedler mehr etwas hören wollte.
Trotzig zog Ariana ihre Tastatur näher zu sich heran und überflog, was sie bis jetzt geschrieben hatte. »Diesmal ist es ganz einfach«, erklärte sie. »Ich habe einfach geschrieben, was los ist.« Und damit war sie eigentlich auch schon fertig. Tatsächlich war es eine erstaunlich lange Mail geworden, für ihre Verhältnisse zumindest. Vielleicht sogar die ausführlichste, die sie ihrer Mutter je geschrieben hatte.
»Und was ist los?«, fragte Ronny.
Sie musterte ihn. Irgendwie hatte Ronny sich auch verändert in den Wochen, die hinter ihnen lagen. Er hatte noch immer dieselbe Stupsnase und dieselben wilden blonden Locken, aber sein Blick war ernst geworden.
»Also, zunächst mal bin ich hier auf dem Mars, während Urs auf der Erde ist«, begann sie.
Ronny hob die Augenbrauen. »Genau genommen auf der Raumstation Mir-III, wo er sich mit den anderen eine tolle Zeit macht.« Er seufzte. »Zu Gast bei Yules Whitehead, dem reichsten Mann der Welt. Das muss echt galaktisch sein.«
»Jaja«, nickte Ariana ungeduldig. Inzwischen waren etliche kurze Filmberichte im Fernsehen gekommen, in denen man gesehen hatte, wie Urs, Carl und Elinn in dem berühmten kugelförmigen Schwimmbad in der Schwerelosigkeit herumtobten oder Madame Le Corr, der nicht minder berühmten Köchin des Multimilliardärs, in der Küche beim Gemüseschneiden halfen. Urs’ Mutter, eine emsige Sammlerin von Kochrezepten, war bei den Bildern aus der Küche der Mir-III ganz aufgeregt geworden.
»Aber ist dir klar, was das bedeutet?«, fuhr Ariana fort.
Ronny grinste. »Dass es ein ganzes Jahr dauern wird, ehe Urs und du wieder rumknutschen könnt.« Er deutete auf den Wandkalender, auf dem die Dauer der Periode eingezeichnet war, in der keine Raumschiffe von der Erde zum Mars fliegen konnten. Es war mehr als ein Jahr.
Ariana schüttelte grimmig den Kopf. »Nein. Es heißt, dass Urs überhaupt nicht mehr auf den Mars zurückkehren wird.«
Jetzt sah er sie doch wieder mit den großen, staunenden Augen an, die man an ihm kannte. »Was? Wie kommst du denn darauf?«
»Denk doch mal nach. Urs’ Vater ist von seinem Posten als Statthalter der Erdregierung auf dem Mars abgesetzt worden. Er hat Anweisung, mit dem nächstmöglichen Flug zur Erde zurückzukehren.« Ariana faltete die Hände. »Glaubst du, da lassen die Urs noch mal zum Mars fliegen? Während seine Eltern in die Gegenrichtung unterwegs sind? Nein, der bleibt gleich da.«
»Oh«, machte Ronny.
»Logisch, oder?« Ariana deutete auf ihren Schirm. »Aber wenn ich die Mails lese, die Urs mir schreibt, frage ich mich, ob der Typ noch alle Anschlüsse am Anzug hat. Ich meine, das muss ihm doch auch klar sein, oder? Seine Eltern werden es ihm gesagt haben. Ich jedenfalls hab’s ihm gesagt und er? Null Reaktion. Tut so, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis er wieder zurück ist.«
Sie ärgerte sich über Urs, jawohl. Es war erstaunlicherweise möglich, in einen Jungen verliebt zu sein und sich gleichzeitig über ihn zu ärgern – und wie!
Auf Ronnys Gesicht stand ehrliches Entsetzen. »Aber … was machst du denn dann? Ich meine, du und Urs, ihr seid doch … also, ich meine, du kannst das doch nicht einfach –«
»Hab ich auch nicht vor«, erklärte Ariana und legte die Finger auf die Tasten. »Aber es gibt nur eine Lösung: Ich muss auf die Erde. Also ziehe ich nächstes Jahr nun doch zu meiner Mom. Das ist es, was ich ihr geschrieben habe.« Sie sprach mit, während sie die letzten Worte der E-Mail tippte. »Es grüßt dich ganz herzlich: Deine Tochter Ariana . So. Fort damit.« Sie drückte den Sendeknopf.
Ronny sah ziemlich geschockt drein.
»Carl und Elinn kommen ja wieder«, meinte Ariana, um ihn zu beruhigen.
Ronny schüttelte den Kopf, fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Mann«, stieß er aus. »Ich hatte mich gerade an Urs gewöhnt.«
Ariana nickte. »Ich mich auch.«
»Aber wo wird er denn leben? Ich meine, wenn seine Eltern zurückkommen?«
»Sie haben früher in Genf gewohnt, glaube ich. Genf? Ja, Genf. Ich nehme an, dort werden sie wieder hinziehen.«
»Okay. Und deine Mutter lebt in Flagstaff, Arizona. Was bringt es, wenn du bei ihr lebst?«
Ariana musterte Ronny unwillig. »Wieso?«
»Also, ich glaube, das ist eine ziemliche Strecke von Flagstaff nach Genf.«
»Vom Mars bis nach Genf, das ist eine ziemliche Strecke«, blaffte Ariana. Ronny war ziemlich
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