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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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einschlafen unter diesem Fächer Gottes, für immer schlafen.
    Kurze Zeit später sieht man die Moll neben ihm sitzen, sie fährt sich mit gespreizter Hand durchs Haar und zündet sich eine Zigarette an. Er gesteht ihr, dass er im ersten Moment dachte, da stehe eine Skulptur.
    Die beiden sind in dem von der Terrasse herüberscheinenden Licht gut zu sehen – sie mit gekreuzten Beinen, leicht gegen den Baum gelehnt, lebhaft rauchend, die freie Hand immer wieder in den wirren Locken. Der Mann ihr zugewandt redend, gestikulierend, nickend. Aus seiner Perspektive schimmert das Profil ihres Gesichts im Gegenlicht, sogar die feinen Härchen über ihrem Mund flimmern. Kleine Rauchfetzen verschwinden im Dunkel und lösen sich auf, die Stimme der Frau vermischt sich mit dem aufsteigenden Duft nach Gras und Erdfeuchte. Die beiden verständigen sich schnell darüber, dass sie mit großen Erwartungen hierhergekommen sind, sie stellen einander vor, und bald geht es um Ruhe, um die Sehnsucht nach Ruhe, und es fallen Sätze wie ›ich kann nicht mehr‹ oder ›nie hätte ich gedacht, dass es so weit kommen könnte mit mir‹ oder ›wenn ich doch endlich mal einen freien Kopf hätte‹.
    Lange Pausen unterbrechen das Gespräch, in denen vereinzelte Stimmen von der Terrasse herwehen. Die Frau ist jetzt mitten in ihrer Geschichte, der Mann hört ihr zu und stellt manchmal eine Frage. Mir gefällt Ihr Name, sagt er, und sie spricht von sich als einer Kurzschläferin, als einer klassischen Schlafgegnerin seit sie denken könne. Bis vor kurzem habe sie damit auch kein Problem gehabt. Plötzlich aber sei alles anders.
    Man sieht, wie die Frau den Kopf auf ihre Knie legt und wie der Mann ihr über den Rücken streicht, nur einmal, kurz, und man hört ein Schluchzen.
    Von wem sie den Namen ›Moll‹ habe, will der Mann wissen. Er findet ihn musikalisch, passend, stolz.
    Das ist mein Mann, und Inge, mein Vorname, das ist meine Großmutter.
    Sie zieht ihr Kleid fest um die Beine, sie fröstelt. Ihr Mund ist ausgetrocknet, sie weint und sie weiß nicht, warum. Sie sagt, dass sie durstig ist. Man sieht den Mann jetzt, wie er sich etwas umständlich hochhievt und die Idylle unter dem Baum verlässt, und wie er auf der Terrasse gleich umringt wird von seinen Kollegen. Wo er denn so lange geblieben sei, sie hätten schon geglaubt, er habe sich davongemacht … Aber nein, was denken Sie, das würde ich doch nie … mit ein paar höflichen Floskeln macht er sich schnell wieder frei. Er will zurück zu seinem Tête-à-Tête mit dieser Frau, die im selben Alter wie seine Tochter sein muss.
    Die Moll versucht eine entspannte Haltung zu finden, ihr tut der Rücken weh, und sie probiert alle Bewegungen aus, um den Schmerz loszuwerden. Man sieht sie das eine Bein über das andere schlagen, es wieder zurücknehmen, beide Beine ausstrecken, beide Beine anwinkeln und den Rock darüberziehen. Einmal hockt sie da wie die kleine Meerjungfrau, dann wieder mit zusammengefaltetem Körper, am Ende streckt sie sich auf dem Boden aus, schiebt den Schal unter den Kopf und blickt durch taumelndes Blattwerk auf das Haus mit den erleuchteten Fenstern.
    Warum ist plötzlich alles so ungreifbar? Dabei könnte es doch so gut sein. Was ist los mit dir, Moll? Wo bist du hingeraten? Hat es was zu bedeuten, dass dich den ganzen Tag niemand angerufen hat, absolut niemand? Und der Mann mit der schwarzen Lederjacke und dem blauen T-Shirt neulich, was hat er von dir gewollt in dieser Berliner Wohnung mit den grünen und blauen Wänden in der Hagenstraße? Wie hat er noch mal gesagt? Nehmen Sie sich in Acht, Sie leben gefährlich. Soll man solche Geschichten glauben? Dass der Verkäufer nur Unglück verkaufe? Alle hätten seit dem Kauf einer Wohnung in diesem Haus nichts als Unglück in ihrem Leben gehabt.
    Aber Moll, sagt sie dann zu sich selbst, Irre gibt’s doch überall. Wie willst du denn wissen, ob du es nicht mit einem Wahnsinnigen zu tun hast? Du hast doch nie Angst gehabt!
    Heut früh, als du die Amsel hörtest oder die Lerche, egal, du hattest doch eine Schlaftablette genommen? Oder nicht? Warum hat Leo gesagt, wir müssen eine Ordnung finden in unserer Sache – was hat er damit gemeint? Hat er gemeint, wir müssen es Lothar sagen, du musst dich von ihm trennen, wir müssen heiraten? Oder hat er das Gegenteil

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