Die Schlaflosen
trägt ein auffallend rotes Kleid. Sie hat sich schön gemacht für den Abend, denkt die Moll. Ob jemand überhaupt schon mal bei diesem Schlafpapst gewesen sei? Ob das immer so bei dem ablaufe â mit so viel Verspätung? Die Moll ist mit ihrer Geduld am Ende. Wenn sie etwas nicht ausstehen kann, sind es Dinge, die nicht klappen. Ihrer Meinung nach gibt es kein Problem, das man nicht lösen kann. Verflixt, das gibtâs doch nicht, murmelt sie und nimmt aus ihrer groÃen Handtasche einen zerknitterten Zettel, den Beweis dafür, dass sie noch gestern E-Mails mit dem Professor ausgetauscht hat. Sie zeigt den Wisch herum, und dabei stellt sich heraus, dass auch andere in den letzten Tagen sich noch lebhaft mit dem Schlafpapst verständigt haben, vor allem zu der Frage, ob es wirklich notwendig sei, ohne Laptop zu kommen. Jeder hat das Foto des Professors vor Augen, ein Mann um die vierzig, mit leicht angegrautem Haar, das lockig nach hinten gekämmt ist. Er trägt einen dunklen Pullover, und seine ganze Erscheinung wirkt weder unseriös, weder sektenhaft noch in sonst einer Weise verdächtig. Jemand hat das Bild auf seinem iPhone und zeigt es herum, sodass man es kopfschüttelnd ansehen kann. Man beschlieÃt, trotz allem zu warten. Was soll man auch sonst tun?
Das Grüppchen löst sich auf, und die Moll wandert durch den Raum, endlich will sie die Besichtigungsrunde machen, zu der sie noch gar keine Zeit hatte. Jedem Detail widmet sie Aufmerksamkeit. SchlieÃlich ist das ihr Metier, hier ist sie zu Hause. Bisher hatte sie noch gar keine Zeit dazu gehabt, sich in Ruhe umzusehen. Sie kam mit groÃer Verspätung an und war froh, nicht gleich zu dem Seminar zu müssen, sondern erst einmal etwas essen zu können.
Vom blauen Salon durch die Bibliothek zum Vortragsraum wandernd, nimmt sie alles in Augenschein. Es ist immer wieder ein erregendes Ereignis für sie, wenn sie ein Haus, eine Wohnung, ein neues Objekt besichtigen kann. Es war die beste Entscheidung ihres Lebens, ihre Stelle bei einer Bundesbehörde aufzugeben und eine Immobilienfirma zu gründen, davon ist sie überzeugt. Kurz nach der Jahrtausendwende ist sie nach Berlin gezogen, nicht nur weil sie sich dort die besseren Geschäfte erwartete, sondern vor allem aus âºLust an Gemäuerâ¹.
Und so ein Gemäuer wie hier hat sie seit damals wohl mehr als hundert Mal besichtigt. Die Umgebung von Berlin ist voll davon â Schnitterhäuser, Bauernhäuser, Stadthäuser, Gutshäuser, Herrenhäuser, mit und ohne See. Die meisten hoffnungslos verrottet, manche halb renoviert, und nur ein paar wenige wirklich gut instand gesetzt. Spielfeld für Romantiker, PreuÃennostalgiker und Spekulanten. Letztere allerdings haben nicht selten aufs falsche Pferd gesetzt und Geld verloren. Vor allem die Hoffnung manch eines Geschäftemachers, ein Herrenhaus zum mehrfachen Preis an arabische oder amerikanische Investoren zu verkaufen, hat sich sehr bald zerschlagen.
Einer, dem die Moll für wenig Geld die Ruine eines groÃen Herrenhauses verkauft hatte, das er mit ungewöhnlichem Aufwand herrichten lieÃ, wurde es danach nicht mehr los. Er bekam nicht einmal das zurück, was er hineingesteckt hatte, und er konnte es auch nicht so vermieten, dass er von den Einnahmen die Hypothekenzinsen hätte bedienen können. Die Gemeinde hatte Mitspracherecht beim Weiterverkauf, und als der unglückliche Eigentümer einen Interessenten präsentierte, der hier den Traum von einem Luxushotel mit Golfplatz, Tennisplätzen, Reithalle und Thermalbad verwirklichen wollte, machte der Bürgermeister von seinem Vetorecht Gebrauch. Am Ende kam das Ganze in die Zwangsversteigerung. Die Finanzkrise tat das Ihre dazu, und eines Tages war der neue Eigentümer ein Spekulant aus Berlin, der das Herrenhaus in Ferienwohnungen aufteilte, für die sich nach langer Suche und mehreren Preisnachlässen endlich Käufer fanden.
Die Moll hat sich vor derart spekulativen Geschäften immer gehütet. Zu oft hat sie erlebt, wie Kollegen damit Schiffbruch erlitten haben, ja wie ganze Existenzen zerbrochen sind, nur weil immer wieder jemand sich den ganz groÃen und schnellen Gewinn versprach.
Dennoch hat auch sie ein paar Prozesse laufen, die ihr im Magen liegen wie Wackersteine. Am liebsten will sie gar nicht daran denken. Vor allem gegen die Käufer eines Hauses, die ihr vorwerfen, sie habe gewusst, in
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