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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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eine Zigarette zwischen die Lippen schiebt und sie wieder herausnimmt, wie sie etwas sagt, die Zigarette wieder dem Mund nähert, sie wieder fortbewegt, den Daumen weit abgestreckt, mit der Hand fuchtelt, indem sie auf den Mann einredet, während sie mit der anderen Hand das Glas hält, wie er ihr fürsorglich das Feuerzeug aus der Hand nimmt und ihr die Flamme in seiner schützenden Handmuschel hinhält und wie sie die Zigarette in die Flamme hebt und ihre Lippen das Mundende umfassen.
    Woran denken Sie jetzt?
    Dass ich hier doch was lernen wollte … Ich wollte doch endlich lernen, wie man anständig schläft … ich hasse schlafen, ich bin Kurzschläferin, wie gesagt … aber ich würde am liebsten überhaupt nicht schlafen, ich habe das Gefühl, immer etwas zu versäumen, immer glaube ich, während ich schlafe, passiert das Eigentliche …
    Und was ist das Eigentliche?
    Ach, wenn ich das wüsste … etwas ganz Wichtiges jedenfalls, weiß auch nicht …
    Sie zieht tief an der Zigarette und bläst die Wölkchen davon, lächelnd … versonnen.
    Haben Sie Kinder?
    Ach das … jetzt kommt das … das hätt ich mir schon denken können … diese Leier, Kinder sind das Allerwichtigste im Leben …
    Ich habe überhaupt keinen Wunsch nach Kindern, komisch, nicht wahr? So spricht keine normale Frau, werden Sie jetzt sagen … ich bin sogar noch nie schwanger gewesen, obwohl ich gar nicht mal besonders aufgepasst habe … Wissen Sie, ich stecke fest, ich hänge an einem Punkt in meinem Leben, wo es nicht mehr weitergeht. Ich stagniere an dieser einen Stelle, und ich weiß nicht, wo die ist, irgendwo in einer weißen Gasse. Sie lacht.
    Wieso in einer weißen Gasse?
    Nur so im Spaß, davon habe ich geträumt …
    Vielleicht muss man aufhören, warum zu fragen …
    Und das sagen Sie, ein Versicherungsexperte?
    Von der Seele reden … wissen Sie, was das heißt?
    Irgendeiner von diesen alten Philosophen, ich glaube Platon, soll dem Sinn nach gesagt haben, dass jemand, der schläft, genauso wenig zu etwas nutze ist wie jemand, der tot ist. Er hat nicht viel übriggehabt fürs Schlafen. Und ich kann das gut verstehn. Ich hasse schlafen … schon wie man aussieht, wenn man schläft! Ich habe mal eine Videokamera über mein Bett gehängt und mich schlafend gefilmt, und als ich es mir angesehen habe, dachte ich, das darf nicht wahr sein. Mein Gesicht sah aus wie aus Pudding, mein Mund war schlapp runtergefallen, meine Backen hingen unförmig aufs Kissen, dazu noch mein Schnarchen … seither bewundere ich meinen Mann, dass er das aushält … das hat natürlich meine Schlaflust nicht sonderlich gesteigert …
    Mulik lacht auf …
    Aber im Ernst – wahrscheinlich hat jeder etwas, worüber er nicht sprechen kann. Jeder hat doch seine Angst, so was wie Angst vor der Kernschmelze … es hat mit diesem heimlichen Kern zu tun, der manch einen nicht nur am Schlafen hindert, sondern am ganzen Leben …
    Die Moll denkt nach. Vielleicht meinen Sie die Seele?
    Mulik streckt die Beine aus und fordert sie auf, den Kopf daraufzulegen. Er hat ja gemerkt, dass sie sich dauernd umsetzt und keine Lage findet, die ihr bequem ist. Ihr kurzes ›Darf ich?‹ klingt überraschend weich, und indem sie es ausspricht, hat sie sich auch schon zu ihm hinübergeschoben, die Zigarette zwischen den Fingern hindert sie nicht an der etwas umständlichen Bewegung. Seine Hand fährt in ihr Haar und spielt zerstreut mit den warmen Locken, zieht Strähnen hoch, verwickelt sich darin, gibt sie wieder frei und greift von neuem in das warme Gewühl.
    Die Moll will wissen, was ihn hierhergetrieben hat, er könne doch anscheinend auch nicht schlafen. Oder ob es berufliche Dinge seien, so ein heimlicher Kern, von dem er eben gesprochen habe.
    Ach. Er zögert.
    Vielleicht wollen Sie ja testen, ob der Guru ein ernstzunehmender Arzt ist?
    Die Moll bohrt weiter. Wenn ein armer Schlafloser ein Seminar wie dieses hier mitmachen will und Ihre liebe Versicherung einen Grund sucht, nichts dafür rauszurücken? Nicht zahlen, das ist doch euer Hauptanliegen, sich drücken, wo ihr nur könnt, ihr Versicherungsganoven! Geben Sie’s zu!
    Sie lacht und berührt für einen Augenblick seine Hand, die immer noch in ihrem Haar liegt.
    Was mich betrifft, sagt sie, ich krieg’s von meiner Krankenkasse

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