Die Schlaflosen
was für einem maroden Zustand die Dachbalken sind. Kaum waren sie Eigentümer, schon kamen hohe Kosten auf sie zu, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Eigentlich ist die Moll vorsichtig, aber solche Konflikte sind nicht zu vermeiden. Trotzdem liebt sie ihren Beruf immer noch. âºIch habe meine Sucht zum Beruf gemachtâ¹, so ihre Erklärung.
Ihre Erfahrungen bei der Bundesbehörde kommen ihr dabei zugute. Mit Amtsvorgängen, Baugenehmigungen und Bürokratie, kurz mit all dem, was für viele ein Mysterium ist, kennt sie sich aus. Das ist ihr Vorteil. Sie weiÃ, wie die Leute auf den Ãmtern denken, und das hilft ihr, die Dinge realistisch einzuschätzen. Auch hat sie einen guten Instinkt für Wertveränderungen und Preise â und das gepaart mit ihrer Leidenschaft für Architektur und altes Gemäuer ist die ideale Voraussetzung für den Beruf des Maklers.
Wie sie in diesem Moment die schmiedeeiserne Wendeltreppe betastet, die zur Empore im blauen Salon führt, beobachtet Sandow wohlgefällig. Sein Blick liegt auf ihrer groÃen schmalen Hand.
Gefällt sie Ihnen?, fragt er.
Die Moll fühlt sich ertappt, als hätte sie etwas Unerlaubtes getan, und darüber lacht sie nun aus vollem Hals.
Ja, sehr â¦
Sandow erzählt ihr stolz, wie er vor ein paar Jahren diese Treppe in einem Laden, der sich âºdie Archäologen PreuÃensâ¹ nennt, aufgetrieben hat.
Sie soll von Schinkel sein, aber ganz bewiesen ist es nicht.
Das hab ich mir schon gedacht.
Die Moll hat immer noch ihre groÃe Hand auf der schwarzen Stufe aus Eisen liegen, und Sandow bietet sich an, eine Privatführung durch das Haus zu machen, falls sie wolle. Etwas später, wenn er erledigt habe, was in diesem Tollhaus jetzt noch auf ihn warte.
In einem ähnlichen Hotel hat die Moll ihren letzten runden Geburtstag, den dreiÃigsten, gefeiert, und sie hat ihren Freunden in einer kleinen Rede etwas von sich mitgeteilt, das sie eigentlich gar nicht hatte sagen wollen, sondern das ihr vor lauter Rührung oder Trunkenheit, auf jeden Fall unkontrolliert herausgerutscht ist: Ich danke euch, dass ihr alle da seid für mich, denn das beweist mir, dass es mich scheinbar wirklich gibt. Und als Korrektur hinterhergeschoben: Nicht scheinbar, sondern wirklich!
Alles lachte, und sie schämte sich für die egozentrische Definition von Freundschaft. Später war sie froh, dass ihr nicht auch das noch rausgerutscht war.
Ihre Liebe zu alten Häusern erklärt sie damit, dass Häuser etwas sind, das man anfassen kann. Nichts Abstraktes, keine Einbildung, sondern etwas Reales, Festes, Begehbares.
Selbst in ihren Träumen findet sie sich in Häusern wieder, läuft sie durch Räume, Zimmerfluchten, Gemächer. Sie träumt von Türmen, Hallen und Sälen, von langen Gängen und hohen offen stehenden Fenstern, durch die Vorhänge wehen, und von groÃen Spiegeln, vor denen Bäume im Wind rauschen.
Dann wacht sie auf und wundert sich, dass sie von Räumen träumt, die sie in der Wirklichkeit noch nie gesehen hat, aber im Traum schon tausend Mal.
Warum träume ich nie von Häusern, die ich aus der Wirklichkeit kenne? Darüber grübelt sie, wenn sie morgens aufwacht und noch von der seltsamen Atmosphäre eines seltsamen Gebäudes umgeben ist.
Häuser geben ihr das Gefühl, die Dinge im Griff zu haben, und indem sich Dinge wie ein Haus als wirklich erweisen und ihr konkrete Aufgaben stellen, die sie genauso konkret lösen kann, hat sie das Gefühl, für sich selbst auch konkret zu werden. Wirklich zu sein. So ein Haus ist einfach das Wirklichste, was es gibt. Noch wirklicher als manch ein Mensch. Auf jeden Fall wirklicher als ein Gedanke oder eine Idee oder eine Ansicht. Und am besten ist es, wenn ein Haus und die Vorstellung, die man davon hat, in eins gebracht werden können, also wenn man ein altes, verfallenes Haus in ein bewohnbares und ansehnliches verwandeln kann.
Sogar nach einigen Jahren in diesem Beruf überkommt sie immer noch die Lust, Häuser zu erkunden. Schon wenn sie sich am frühen Morgen oder nachts am Computer in die Fotografien von annoncierten Gebäuden hineinfantasiert, setzt so etwas wie ein Instinkt ein, eine Sucht, die sie weiter und weiter treibt, einem Fieber gleich, einer Euphorie, die sie in unermüdlicher Suchlust hält. Ein Trieb, den sie sich anders nicht erklären kann und der sie über alle
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