Die Schlaflosen
Misserfolge, die es bei alledem auch gibt, hinwegträgt und zu immer neuen Einfällen beim Akquirieren treibt.
Oft ist sie gefragt worden, wie sie diesen Beruf aushalte, so mitten im Haifischbecken der groÃen Gier. Was sie daran fessele und woher sie die Nerven nehme. Und sie hat nie eine andere Antwort darauf als die, dass sie es spannend findet. Und dass sie zufrieden ist, wenn alles klappt, wenn ein Haus sich aus einem verwahrlosten Zustand in einen guten Zustand verwandelt. Wenn sie ihre Stimme, ihr Wissen, ihre Ãberzeugungskunst einsetzen kann, um etwas zu erreichen. Wenn sie ihren Kunden Hypothekenbanken, Architekten, Handwerker und Verwalter empfehlen kann. Ihr Gespür für die Machbarkeit eines Vorhabens trügt sie so gut wie nie, und das zu wissen ist ihre gröÃte Sicherheit.
Sie wundert sich oft über die naiven Vorstellungen mancher Käufer. Selbst Geschäftsleute sind da keine Ausnahme. Männer, die auf anderen Gebieten groÃen Erfolg haben, können vollkommen entscheidungsunfähig und umständlich werden, wenn es um das eigene Haus geht. Das findet die Moll einen der interessantesten Aspekte dabei. Wie manche Leute sich bei der Besichtigung von Wohnungen verhalten, in die sie selbst einziehen wollen.
Einmal hat sie ein Objekt für eine bekannte Politikerin gesucht, die, sobald sie eine Wohnung betrat, zu einem kleinen trotzigen Kind wurde. Wenn jemand bei einer Wohnungssuche unruhig wird, nervös, kindisch, wenn es ein Hin und Her zwischen Ja und Nein gibt, wenn Kunden ihre skurrilsten Seiten zeigen, wundert sich die Moll gar nicht mehr. Es ist ihr vertraut, und sie weiÃ, woher es kommt. Derlei Gedanken ziehen ihr durch den Sinn, während sie hinaus auf die Terrasse tritt und weiter die Stufen hinab in den Park, über dem eine Herde Wolken mächtig nach Osten zieht, mit heftig wechselnder Beleuchtung.
Nocturne
Sie schüttelt die Schuhe von den FüÃen und tritt auf den Rasen.
Das Gras ist weich, feucht, ein Labsal. Die Moll richtet sich auf und reckt sich. Frische Luft! In diesem Moment sieht sie aus wie eine Statue, den Kopf zurückgeworfen, die Brust gewölbt, den Hals weià gebogen, die Beine lang gestreckt, die Arme weit ausgebreitet, die Handflächen nach oben, die Finger gespreizt. Aaah, was für eine Luft! Und während sie in tiefen Zügen Atem holt, tritt eine Gestalt aus dem Dunkel der Bäume, die sich im Halbrund um die Wiese reihen. Weder das plötzliche Rascheln noch der Schatten der Person können die Moll jetzt stören. Sie merkt nicht, wie Peter Mulik in vorsichtigem Abstand von ihr haltmacht. Es ist derselbe Peter, der soeben noch mit seinen Kollegen von der Versicherungsgesellschaft an dem runden Tisch im Speisesaal saÃ. Er lässt sich auf dem Rasen nieder, und zwar so, dass er die seltsame Erscheinung beobachten kann. Ist es eine Fata Morgana, die gleich verschwindet?
Die Moll regt sich nicht, sie steht da wie ein Standbild. Erst jetzt erkennt Mulik, dass das Standbild dieselbe Frau ist, die er vorhin während des Essens flüchtig wahrgenommen hat, als sie suchend umherstreifte, um dann an einem Tisch Platz zu nehmen, der auÃerhalb seines Blickfelds lag. Er hatte sie nicht weiter beachtet, die Gespräche an seinem eigenen Tisch bannten zu sehr seine Aufmerksamkeit.
Ach ja, die junge Kollegin in Schwarz, diese Friederike. Was für eine Generation! Er ist so weit von diesen jungen Leuten im Betrieb entfernt, dass er nicht einmal mehr Neid empfindet, wenn sie mit ihren diversen digitalen Geräten herumzaubern, wenn sie flink und unfassbar chaotisch zu genauso unfassbar präzisen Informationen kommen, denen er aber ähnlich misstraut wie dem Pendel seiner Tochter, die sich seit einiger Zeit in esoterischen Kreisen tummelt. Er hat nicht einmal gemerkt, dass Friederike ihn mit bezirzender Ironie angesprochen hat. Und er hat auch nicht verstanden, dass sie ihn mit ihrer Frage, ob man überhaupt glücklich sein könne als Schlafloser, nur in eine persönlichere Unterhaltung locken wollte, als es in Gegenwart von Kollegen üblich ist.
Selbst als sie sich nach dem Dessert, von dem sie das meiste übrig lieÃ, über den Bauch strich und zwinkernd in seine Richtung raunte: Viel zu viel gegessen, tommy touches table â¦, hat Mulik nichts kapiert.
Jetzt hockt er im Gras unter einer Rotbuche, deren Ãste ein ausladendes, wippendes Dach bilden. Am liebsten würde er
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