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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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gemeint – dass er Schluss machen will? Dein Leben ist bizarr geworden, Moll, du verstehst dein eigenes Leben nicht. Dabei hattest du alles so gut im Griff. Und ob dieser Traum eine Bedeutung hat?
    Jedenfalls darfst du ihn nicht vergessen: Du wandelst durch eine weiße Gasse, alles ist weiß, der Boden ist weiß, die Häuser rechts und links sind weiß, sogar der Himmel ist weiß. Kein Wölkchen, nichts. Ein glatter, verschlossener, weißer Himmel. Und du, du machst in dem Weiß alles schmutzig. Du hast schreckliche Angst, deinen dunklen Schmutz in diese weiße Reinheit zu tragen. An deinen Schuhen klebt etwas wie Teer oder Kot oder getrocknetes Blut. Du läufst eigentlich nicht, sondern es gelingt dir zu schweben, handhoch über dem Boden. Du musst höllisch aufpassen, damit nichts schmutzig wird. Dabei musst du jetzt pinkeln und stellst fest, du hast nichts an, es tropft dir schon die Beine entlang …
    Was soll so ein Traum? Man sollte mal herausfinden, wie man Träume in Szene setzt. Wäre doch eine Marktlücke: mit Computersimulationen Träume visualisieren. Wunderbar, damit könnte ich reich werden … was denkt eigentlich Leo wirklich von mir? Für manche bin ich das Letzte, seit ich in Immobilien mache … Makler sind genauso übel wie Banker, hat das nicht neulich jemand im Fernsehen gesagt?
    Aber wann siehst du schon so etwas Wunderbares wie diese weiße Gasse? Wenn du Künstlerin wärst, würdest du so eine Gasse bauen und jemanden darin nackt hin und her laufen lassen … Moll, du solltest aufhören zu rauchen, du kriegst kaum noch Luft … ob Leo den Tag danach noch in Berlin geblieben ist? Ich muss ihn unbedingt anrufen … aber will er das? Du weißt nie, was er will … und ob er dich nicht einfach nur benutzt, weil du so leicht zu benutzen bist? Nein, hör zu, du bist es doch, die ihn benutzt … es wird so viel geredet über diese Dinge, aber darüber spricht keiner, dass eine ganz normale Person nicht wieder loskommt von einer anderen ganz normalen Person … es ist wie Alkohol … vielleicht bist du das, was man depressiv nennt? Vielleicht brauchst du diesen starken Tobak, den Leo dir gibt, um nicht ganz im Trübsinn zu versinken? Vielleicht braucht deine müde Seele diese scharfe Würze, die so wehtut? Vielleicht braucht sie das, damit sich das Leben wie das Leben anfühlt? Wenn du wieder nichts fühlst, dann gehst du zu Leo und lässt dich wieder fühlen machen. Nein, Moll, das wirst du Lothar nicht sagen, das musst du getrennt lassen … schon Lothars Gesicht, das er dabei machen wird, wenn du sagst, hör zu, Schatz, ich gehe mit Leo ins Bett … dieses Gesicht wirst du dann nie wieder vergessen können … so ein Gesicht kann ein ganzes Leben ändern. Wenn er dieses Gesicht macht, das ich mir jetzt vorstelle, werde ich ihm nie wieder eine Wahrheit sagen können, und alles wird noch viel schlimmer werden … und schon denkst du wieder an Leo, er springt dir mitten in deinen Kopf … Jetzt schon wieder …
    Ach sieh mal an, da kommt der Opa mit dem Wein zurück! Wie er da andackelt, die Flasche in der Hand und die Gläser, die klimpern als wären sie unschuldig … wenn der wüsste! Es ist schon in Ordnung, dass man alte Knacker in Pension bugsiert. Aber wie denkst du denn, Moll, du bist wirklich nicht mehr ganz bei Trost. Kein Herz für Senioren, genau das, was man von einer kalten, herzlosen Maklerin erwartet … er könnte dein Vater sein, dein Papa … dein KV, dein Kindsvater, und dir kommen schon wieder die Tränen … Moll, Moll, Moll, was soll das? Du hängst hier rum, dabei solltest du doch etwas lernen – lernen, wie man schläft, wie man richtig schläft und nicht falsch, denn wenn man falsch schläft, dann kann man nicht schlafen, dieses ganze Elend … Mach Sex, Moll, vielleicht ist das des Rätsels Lösung, vielleicht solltest du einen Puff gründen, in dem man in ganz weißen Räumen in ganz weißer Wäsche mit ganz weißen … da ist er schon, der liebe Alte, der sich so anstrengt für dich. Ach, wie er sich eben hochgestützt hat, um aufstehen zu können … da wäre fast ein Schimmer Rührung aufgekommen in deinem coolen Busen …
    Jetzt kann man sehen, wie sich der Mann mit der Flasche Wein niederlässt, wie er einschenkt, wie die beiden anstoßen, wie sich die Frau

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