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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Kephallion. Der ganze Hof hat in den letzten Jahren eine andere Richtung genommen.«
    »Eine rückschrittliche«, präzisierte Salome und wusste, wer für diese Veränderung verantwortlich war: die Pharisäer. Antipas war ein schwacher, ängstlicher Herrscher. Wie einst Herodes fürchtete er, dass er vom Volk gestürzt oder von den Römern abgesetzt werden könnte, andererseits besaß er nicht die Härte und das politische Geschick seines Vaters. Herodes hatte alle beherrscht, den sanhedrin , die Priesterschaft, das Volk und die Sekten. Antipas hingegen machte sich aus lauter Furcht zum Sklaven der Interessengruppen. Er wollte es jedem recht machen, und wenn das nicht ging, suchte er sich die aus, die ihm am stärksten schienen, und gab ihnen Recht. Er fürchtete sich vor den radikalen Zeloten, die immer heftiger gegen die Römer und deren Unterstützer predigten. Doch sie waren zu extrem, um sie sich zu Freunden zu machen; die Sadduzäer und Essäer hingegen waren zu unauffällig und unbedeutend. Also warf er sich den beim Volk beliebten Pharisäern in die Arme, die sich völlig unpolitisch verhielten und sich nicht um die Römer, Griechen und andere Fremde im Land kümmerten. Sie strebten keine weltliche Herrschaft, sondern ausschließlich die vollständige Kontrolle über den Glauben an. Mit Antipas’ Genehmigung diktierten sie dem Hof ihre Vorstellungen von Religion und Welt. Sie dachten sich neue Gebote aus, die nirgendwo in der thora standen, oder interpretierten die vorhandenen Gebote auf eine Art, dass etwas völlig anderes aus ihnen entstand. Einen Zaun um die thora bauen, nannten sie das, so als errichteten sie eine Mauer um eine Festung, als schützten sie die thora damit. In Wahrheit gestalteten sie so die Welt nach ihren Vorstellungen. Sie schrieben den Leuten ihre Kleidung vor, die Essgewohnheiten, die Körperpflege, ihre Geschäfte und den Umgang mit Geld und sogar die Ausdrucksweise, also alle täglichen Gewohnheiten, so als reichten die sechshundertdreizehn göttlichen Gebote noch nicht, um das Leben in Bahnen zu halten. Die Zeloten, die ihnen seit Einmarsch der Römer Konkurrenz machten, ließen sie von Antipas von den Straßen und damit aus dem Blick des Volkes vertreiben. Um all das am Hof und in ganz Galiläa durchsetzen zu können, drückten sie beide Augen zu und erhoben weder Einwände gegen Antipas’ starke, heidnische Neigung für Hellseherei und Sternendeutung noch gegen seine privaten Ausschweifungen. Ihre Macht über Antipas wurde am Hofe repräsentiert durch Rabban Jehudah.
    »Mir sind die Schriften des Rabban Jehudah wohl vertraut«, sagte Salome. »Er ist zweifellos einer der führenden Köpfe der Pharisäer, außerdem extrem konservativ, aber selbst er schreibt den Frauen nicht vor, wie viele Stunden sie im Freien zubringen dürfen. Eine tüchtige Zurechtweisung täte Kephallion nicht schaden. Du bist allerdings auch selbst schuld. Wie kann man sich nur derart unterordnen!«
    »Pfui«, sagte Berenike, »du hast meine Gebete nicht verdient.«
    Salome staunte. »Weshalb, um alles in der Welt, betest du für mich?«
    Berenike beruhigte sich schnell wieder. Sie konnte nie lange böse auf jemanden sein. »Wegen Timon«, gestand sie mit gesenktem Kopf. »Ich bete, dass du ihn vergisst.«
    Salome erstarrte. »Das ist doch wohl nicht zu fassen. Warum will eigentlich jeder, dass ich Timon vergesse?«
    »Er macht sich in dir breit, Salome, darum. Ja, wenn er zum Anfassen wäre, aus Fleisch und Blut, würde ich nichts sagen, doch er ist längst zu einer fixen Idee geworden. Kein Brief, kein Wort, kein Zeichen von ihm. Würde er dich wirklich lieben, hätte er sich nach seiner Freilassung irgendwie mit dir in Verbindung gesetzt.«
    Berenike war in diesem Moment wie ein Sprachrohr von Salomes eigenen, dunkelsten Stimmen, jenen Stimmen, die sie jeden Tag mühsam unterdrückte. Sie wurde ärgerlich.
    »Na und? Was verliere ich schon, wenn ich weiter hoffe? Gar nichts. Warum also soll ich das Schönste, was mir in meinem Leben widerfahren ist, vergessen?«
    »Du würdest offen sein für einen anderen Mann, Salome. Du würdest ihn heiraten, glücklich mit ihm sein …«
    »So wie du mit deinem Mann, ja? Vielen Dank.«
    Berenike senkte betroffen den Kopf; ein Zeichen, dass sie verletzt war. Diese Geste hatte Salome früher immer sofort beschwichtigt, doch jetzt war ihr Ärger über die Einmischung noch nicht verraucht. So schnell konnte sie nicht vergeben, dass jemand Zweifel an Timon wecken

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