Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
öffnete sich und gab einen Raum frei.
Haritha schubste Salome hinein. »Er darf dich hier nicht sehen. Das ist zu deinem eigenen Besten.« Dann schloss sich die Tür wieder.
Salome wagte keine Bewegung und atmete flach und schnell. Sie dachte über die merkwürdigen Worte Harithas nach. Warum war es zu ihrem eigenen Besten, sich hier vor Antipas zu verstecken? Er kannte sie doch. Und was konnte er ihr schon tun?
Sie sah sich um. Der geheime Raum war höchstens zwei Schritte breit und zog sich über die ganze Länge der Saalwand. Die Fackeln erhellten nicht nur seine enge, fensterlose Düsternis, sie brachten auch Licht in ein Rätsel. Am Ende des Raumes erkannte Salome die Umrisse von fünf Männern, jeder mit einem anderen Instrument in Händen. Von hier also kam die Musik. Einer von ihnen löste sich aus dem Quintett, ging auf Zehenspitzen auf sie zu und entfernte wortlos einen münzgroßen Deckel von der Wand. Lächelnd wandte er sich wieder um und ging zu den Musikern zurück.
Salome bedankte sich mit einem Kopfnicken. Bisher hatte sie nicht mitbekommen, was in dem Saal vor sich ging. Nun presste sie ihr Gesicht an die Wand und blickte mit einem Auge durch die Öffnung, die klein genug war, um vom Saal aus nicht entdeckt zu werden.
Dort standen Antipas und Haritha beisammen. Nichts deutete darauf hin, weshalb er seine Frau besuchte. Er schwieg, schien ihr also nichts mitteilen zu wollen. Er sah sie auch nicht mit funkelnden Augen an wie jemand, den die Sehnsucht getrieben hatte. Eher gleichgültig sah er der arabischen Dienerin zu, die einige Polsterkissen brachte, auf dem Boden verteilte und dann von ihrer Herrin weitere Befehle erwartete. Antipas kam seiner Frau zuvor und schickte die Dienerin mit einem ungeduldigen Wink hinaus.
Einen Moment schwiegen er und Haritha, schließlich legte er sich auf die Kissen und rief, ohne jede Zärtlichkeit in der Stimme: »Tanze, Haritha.«
Das klang wie ein eingeübter Befehl, der schon tausendmal gegeben worden war und immer das gleiche Ritual nach sich zog. Die Musiker, für das Fürstenpaar unsichtbar hinter der Wand verborgen, setzten die Instrumente an. Haritha nahm die gleiche Position in der Mitte des Saales ein, in der Salome sie vorhin angetroffen hatte. Sie klatschte aber nicht dreimal wie vorhin, sondern viermal, und nur einen Lidschlag später peitschten die Hände eines Musikers mit unglaublicher Geschwindigkeit über den mit Darmhaut bezogenen Hohlkörper.
Im Takt dieses aufwühlenden Rhythmus wirbelte Haritha auf dem Boden um Antipas herum. Ihre Füße sprangen und huschten, sie bog ihren Körper, drehte ihn, ließ die Hüften kreisen und die Arme Figuren in der Luft zeichnen. Das Tamburin beschleunigte den Rhythmus noch weiter. Haritha war eine Sklavin der Musik, sie folgte jedem ihrer Befehle. Dann, mit einem Ruck so schnell, dass Salome ihn gar nicht wahrnahm, warf sie den ersten Schleier ab. Der feine, gelbe Stoff flog zu Antipas, der ihn sogleich griff und daran roch, ohne seinen Blick von der Tänzerin zu nehmen. Der Tetrarch grinste breit, doch man konnte dieses Mienenspiel bei ihm nie deuten. Er konnte sowohl amüsiert sein als auch gereizt, angestrengt, erregt …
Der zweite Schleier flog durch die Luft. Nun schimmerte bereits Harithas dunkle Haut verheißungsvoll durch den dritten Schleier. Noch blieben die Konturen ihres Körpers eine vage Andeutung, nur dann sichtbar, wenn eine bestimmte Drehung sie einen Takt lang freigab.
Antipas’ Augen weiteten sich. Sein Mund stand offen, verlor jedoch das breite Grinsen nicht. Er atmete schwer, die Zunge lag auf seinen Lippen. Der Fürst sackte mehr und mehr in sich zusammen.
Antipas war in diesem Moment offensichtlich nicht mehr der Herr Harithas, nicht der Mann, der ihr Befehle geben und sie mit ständiger Nichtachtung strafen konnte. Er war ihr Geschöpf. Ein Tanz machte ihn zu einem willenlosen Narren, der sich mit der Hand zwischen den Schenkeln rieb, aus dessen Mund Speichel tropfte, der zwischen Ohnmacht und aufgepeitschter Erregung schwankte.
Der dritte Schleier landete auf dem Boden. Außer den Kettchen und Reifen an Armen und Beinen war Haritha nackt und wirbelte um Antipas herum, immer dicht davor, ihn zu berühren, und doch unerreichbar für den Geschwächten.
Die Musik steigerte sich, sie wurde schnell und unangenehm laut. Trommel und Tamburin wetteiferten in ihrer ekstatischen Klangfülle miteinander, überschlugen sich. Jeden einzelnen Atemzug lang produzierten sie Hunderte von
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