Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
immer nur um abstrakte, unsichtbare Begriffe wie Wahrhaftigkeit und Tradition, Dinge, die nichts wert waren. Für nichts in der Welt würde Theudion die Schande einer Scheidung auf sich nehmen, vor allem, wenn er seine Frau an den Bruder verlöre. Das alles würde nur einen Riesenärger verursachen, und Ärger machte Antipas Angst.
Wenn nur ihre Augen nicht wären, dachte er, ihre Schenkel, die er zum ersten Mal an dem Tag bewundert hatte, an dem Herodias mit ihrer Tochter niedergekommen war. Nur gut, dass es Morgen war und sein Verstand wieder funktionierte. Jetzt konnte er Herodias in all ihrer Schönheit betrachten und dennoch widerstehen. Abends war das anders.
»Selbst wenn«, ging er sachlich auf ihren Vorschlag ein und musterte gleichzeitig ihren Körper. »Heiraten könnten wir dennoch nicht.«
»Wegen Haritha!«, rief sie gekränkt.
»Wegen des mosaischen Gesetzes. Der Herr hat durch Moses die Verbindung von Schwager und Schwägerin ächten lassen und nur unter ganz speziellen Bedingungen erlaubt, die hier nicht vorliegen. Nur eine verwitwete und …«
Sie schnitt eine Grimasse und fiel ihm ins Wort. »… und kinderlose Schwägerin darf sich in den Schutz des Schwagers begeben, sofern dieser nicht bereits verheiratet oder mit Kindern gesegnet ist.«
»Das hast du richtig wiedergegeben«, stellte Antipas fest.
Herodias stöhnte. »Kein Wunder, du hast mir diesen Satz zum Erbrechen oft vorgebetet. Der alte Herodes hat über das mosaische Gesetz gelacht, und das könntest du auch. Weißt du, was ich glaube? Du benutzt das mosaische Gesetz nur als Vorwand. Haritha ist der wahre Grund. Du willst dich nicht von ihr trennen. Du kannst es nicht.«
Antipas streichelte sie vom Kinn bis zu den Schenkeln. Wie schlau sie doch war, dachte er. Ja, er konnte Haritha nicht loslassen, obwohl er sich nicht viel aus seiner Frau machte. Sie war hübsch und widersprach ihm nie, erfüllte gewissenhaft jede Aufgabe, die er ihr gab, und beschwerte sich nicht. Doch Haritha war eine Sphinx, unzugänglich und rätselhaft, und Rätsel bereiteten ihm Sorge und Angst. Er wusste vom ersten Tag seiner Ehe an nicht, worüber er mit Haritha reden sollte. Was immer er sagte, schien sie nicht zu interessieren. Sie war schweigsam, und wenn sie einmal – was selten genug vorkam – den Mund aufmachte, verstand er nicht, wovon sie sprach. Es war wirres Zeug in seinen Ohren, ein Gemisch aus arabischer Philosophie, heidnischem Kult und überspanntem Frauengeschwätz.
Aber, bei Gott, diese Frau konnte tanzen wie keine andere. Sie brauchte nur wenige Schritte zu machen und schon kochte sein Blut. Er glaubte in diesen Augenblicken tatsächlich zu verbrennen, sein Körper zuckte und bebte, die Bilder verschwammen ihm vor Augen, der Kopf schien platzen zu wollen, und seine Haut glühte, dass es beinahe wehtat. Dieser Rausch, den er empfand, war intensiver als der des Weines und aufregender als der des Liebesaktes, und er gab sich ihm mit voller Wonne hin.
Er brauchte Haritha. Er brauchte sie einmal in der Woche. Was sie sonst tat, war ihm egal. Für alles andere fand er Ersatz, zum Beispiel Herodias für die nächtliche Liebe, doch Harithas Tanz war unvergleichlich. Kein Wunder, war sie doch in ihrer heidnischen Heimat die Oberste Tempeltänzerin gewesen, eine Prinzessin nicht nur von der Abstammung her, sondern auch in ihren Bewegungen. Einmal hatte er sich eine syrische Tänzerin kommen lassen, ein anderes Mal eine ägyptische. Sie sollten Haritha ersetzen, doch die Versuche scheiterten kläglich. Die erotischen Tänze der nabatäischen Priesterinnen waren unvergleichlich, er konnte nicht ohne sie sein.
Gewiss, Herodias tanzte auch, beziehungsweise tat sie ihr Bestes, um es so aussehen zu lassen. Ihre Verrenkungen lockten jedoch nicht das geringste Gefühl in ihm hervor, und er lächelte sie während dieser Darbietungen halb müde und halb mitleidig an. »Du solltest ab und zu etwas von dem Zeug trinken, auf das Haritha schwört«, sagte er Herodias bei solchen Gelegenheiten. »Vielleicht würde der theriac deinen Tanz geschmeidig machen.«
Doch heute sagte er ihr das nicht. »Haritha kann dir nicht das Wasser reichen«, behauptete er stattdessen. »Lass uns bitte ein anderes Mal über diese komplizierten Dinge sprechen.«
»Warum nicht jetzt?«
Ihm fiel ein, dass der neue römische Prokurator heute seinen Einstandsbesuch bei ihm absolvierte. Er wurde zwar erst für den Nachmittag erwartet, gab dennoch einen prächtigen Vorwand dafür
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