Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
Wirkung zu entfalten, die Salome an sich selbst nicht spürte. Harithas Bewegungen wurden fast tänzerisch, und ab und zu schloss sie die Augen und öffnete leicht den Mund.
    »Was trinken wir hier eigentlich?«, wollte Salome wissen.
    »Oh, nur einen Tee aus verschiedenen Gewürzen, von Karawanen aus östlichen Ländern mitgebracht«, antwortete Haritha in einem seltsamen Singsang. »Arabische Zimtrinde, syrischer Lorbeer, Nelkenpulver und indischer Kardamom … Du kennst Kardamom nicht? Es ist der Samen einer Pflanze. Man zerstößt ihn zu Staub.«
    »Entfaltet er diese Wirkung, die ich an dir beobachte?«, fragte Salome.
    »Nein«, antwortete Haritha gedehnt und mit geschlossenen Augen. »Die Wirkung kommt von einem Zusatz in meinem Tee, dem theriac .«
    Ihr Lerneifer der letzten Jahre kam Salome nun zugute. Theriac , so hatte sie gelesen, war ein Arzneisaft, der aus sechzig verschiedenen Bestandteilen hergestellt wurde, darunter Gewürze, Baldrian, Mohn und das Blut von Nattern. Er wurde als Gegengift bei Schlangenbissen oder Skorpionstichen verwendet, und von einigen historischen Königen wurde berichtet, dass sie sich mit täglich eingenommenen kleinsten Mengen des Trankes – eine Bohne voll, wie es hieß – immun gegen Giftanschläge machten. Bei einer hohen Dosierung drohte der schnelle Tod, aber wenn man nur ein wenig mehr als »eine Bohne voll« nahm, schien theriac eine seltsame, berauschende Wirkung zu entfalten.
    »Und nun«, sagte Haritha und begann, ihre Hüften sanft zu schwingen, »ziehe dir alles an, was ich dir geschenkt habe, lasse nichts weg. Lege dir einen Schleier über den anderen. Schleier sind wunderbar. Sie sind dicht genug, um die darunter liegenden Farben zu verhüllen, und durchsichtig genug, um die Konturen deines Körpers anzudeuten. Sie verdecken, aber sie stimulieren auch. Sie hängen nicht einfach an deinem Körper, sondern schmiegen sich an ihn, legen sich in Falten, bilden Hügel und Täler in mannigfacher, unendlicher Vielfalt, kräuseln und glätten sich wie ein fruchtbarer Strom. Schleier bedeuten Geheimnisse und Schleier bedeuten Verheißungen. Sie verstecken und versprechen etwas. Den Männern erschaffen sie Bilder, die gar nicht da sind, die nur in ihrem Kopf existieren. Das Einzige, was Schleier brauchen, um all das zu sein, was ich eben beschrieben habe, ist die Bewegung. Ohne sie sind sie nutzlos, tot. Nur der Tanz bringt sie zum Leben, Salome. Der Tanz.«
    Salome hörte ihr gebannt zu wie einst den thora -Vorlesungen des alten Zacharias; anders als damals bekam sie heute eine Gänsehaut.
    »Es gibt nichts Sinnlicheres, Salome, als wenn jeder Teil deines Körpers in Schwingung gerät. Kannst du es spüren? Ich weiß, du vermagst noch nicht einen einzigen Schritt zu tanzen, und doch ist schon jetzt etwas in dir, das in diesem Augenblick nichts anderes mehr will, als die Bewegungen auszuprobieren. Der Tanz ist dir nicht fremd, Salome, denn Tanz ist Leidenschaft, und Leidenschaft steckt in dir, das fühle ich. Du bist auserwählt zu tanzen. Warte nicht länger, Salome.«
    Die Fürstin klatschte dreimal in die Hände, und nur einen Atemzug später erklang eine leise Musik, die der Wind mit sich zu bringen schien. Eine einzelne Flöte spielte eine Melodie so fremd wie Haritha und ihre Welt. Dann kam eine zweite dazu, die einen dunkleren, einen magischen, samtigen Ton zauberte. Ein Tamburin, leise rasselnd, brachte einen etwas schnelleren Rhythmus in die Melodie.
    Haritha machte keinen Schritt. Nur ihre zur Decke gestreckten Arme schaukelten sachte von einer zur anderen Seite, wie von dem hereinströmenden Wind bewegt. Nach und nach passten ihr Kopf und der Oberkörper sich an. Dann, fast unmerklich, ging die Bewegung in ein sanftes Kreisen über. Haritha war biegsam wie ein junger Zweig. Der Rhythmus der Melodie wurde schneller und mit ihr Harithas Bewegungen. Noch immer verharrte sie auf einem Fleck, und doch schienen sie und die wehenden gelben Schleier den ganzen Saal auszufüllen. Salome konnte nicht einen Moment den Blick von ihr abwenden. Über diesem Tanz vergaß sie alles, sogar den dunkel schimmernden Schmuck in ihren Händen.
    »Haritha!« Ein Ruf von nebenan brach wie ein Unwetter in diese Welt hinein. Antipas. Salome zuckte zusammen. Pfeilschnell und plötzlich wieder hellwach, stürzte Haritha auf sie zu, packte sie am Arm und zog sie mit sich zum anderen Ende des Saales, wo sie ihre flache Hand auf einen bestimmten Punkt des Mosaiks presste. Eine Drehtür

Weitere Kostenlose Bücher