Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
ab, das lästig gewordene Gespräch zu beenden.
»Pontius Pilatus stellt sich heute vor. Ich muss mich noch vorbereiten, denn ich begegne ihm zum ersten Mal. Man muss sich gut mit den Römern stellen. Und was dich angeht, so musst du die Kleider anprobieren, die ich dir in deine Gemächer habe schicken lassen. Du sollst nächste Woche zur Einweihung von Tiberias die Schönste von allen sein, schöner noch als Haritha.«
Er gab Herodias einen langen, intensiven Kuss. Danach lächelte sie wieder. Wie leicht Frauen doch zufrieden zu stellen waren, dachte er.
Salome musste grinsen, als sie Pontius Pilatus sah, und konnte damit nicht mehr aufhören. Er widersprach jedem Bild, das sie sich bisher von Römern gemacht hatte, den mächtigen Bezwingern der Völker, den Eroberern der Welt. Grobschlächtige Legionäre, behaarte Kämpfer, würdevolle alte Patrizier, das waren die Römer, die sie bisher kennen gelernt hatte. Doch Pilatus … Unfreiwillig wirkte er komisch. Seine Stimme war dünn wie Glas, sein Körper schmächtig und klein, die Schultern stark abfallend. Seine Toga, die ihm Würde verleihen sollte, erreichte das Gegenteil, denn sie hing lose an ihm herunter, als sei sie für einen großen und dicken Mann gemacht, für einen wie Antipas vielleicht. Pilatus hatte ein schmales Gesicht mit langer spitzer Nase und mit Wangen, die glatt und rot wie Apfelschalen schimmerten und ihn jünger wirken ließen als die vierzig Jahre, die er auf den schmächtigen Schultern trug. Man konnte meinen, er sei erst gestern vom Baum gefallen und jammernd zu seiner Mutter gerannt. Alles an ihm schien weich oder zerbrechlich zu sein, und gerade das machte ihn für Salome sympathischer als die anderen, oft vor Muskeln und Überheblichkeit strotzenden Würdenträger und Offiziere der Römer.
Der Empfang des neuen Prokurators begann mit einer Litanei von Phrasen. Antipas pries die Gerechtigkeit des Kaisers Tiberius, dem Sohn des Gottes Augustus. Er nannte ihn edelmütig, weise, väterlich, triumphal, sorgsam, allwissend, diszipliniert, eisern, mutig, einfühlend, behütend … Deswegen habe er, Antipas, ja auch diese Stadt am See Genezareth gegründet, zu seiner Hauptstadt gemacht und Tiberias genannt.
Doch damit nicht genug. Er lobte Pontius Pilatus, dessen Ruf ihm angeblich vorausgeeilt sei. Pilatus war kein Patrizier, sondern Ritter, was Antipas daran hinderte, ihn für seine vornehme Herkunft zu rühmen. Stattdessen sprach er von seiner Tatkraft als praetor im norditalienischen Verona und als quaestor in Gallien. Und nun freue man sich auf seine Arbeit für Judäa. Das Land, so Antipas schlussendlich, könne sich glücklich schätzen mit einem solch begabten Stellvertreter des erhabenen Kaisers und des erlauchten Senats von Rom.
Nach diesen Sätzen wurde Salome übel, und von Pilatus befürchtete sie nun eine gleichlautende Lobrede auf den Tetrarchen.
Doch sie wurde angenehm überrascht.
»Ich höre«, erwiderte Pilatus, »du hast nicht nur deine Hauptstadt nach dem Kaiser benannt, sondern auch eine weitere Stadt nach seiner Mutter. Livias, nicht wahr? Und eine andere heißt Julias, nach der julischen Kaiserfamilie.«
Antipas nickte eifrig, zufrieden, dass jemand seine Untertänigkeit erkannte.
»Du weißt sicher«, fuhr Pilatus ernst fort, »dass der Imperator einen Sohn hat, Drusus mit Namen. Hast du schon eine Stadt in Drusas umbenannt? Dessen Frau heißt Livilla, wo liegt in deiner Tetrarchie die Stadt Livillas? Zwei Neffen des Kaisers heißen Germanicus und Claudius, du weißt, was du zu tun hast.«
Antipas sah den Prokurator verwirrt an. Er bleckte die Zähne zu seinem üblichen Grinsen, und niemand wusste, was in diesem Moment in ihm vorging. Überlegte er bereits, welche Städte er umbenennen würde?
»Ein Scherz«, platzte Pilatus fröhlich heraus und klopfte dem Tetrarchen auf die Schulter. »Nur ein Scherz, Antipas. Macht ihr keine Witze in Judäa?«
Antipas rang sich ein künstliches Lachen ab. »Ja doch, schon«, meinte er noch immer konsterniert.
»Gut, gut. Sonst hätte Rom neben seinen Legionen auch noch den Witz nach Judäa bringen müssen.«
Der versammelte Hof lachte, und so blieb Antipas nichts anderes übrig, als einzustimmen. Salome wusste, dass Antipas Witze, die auf seine Kosten gingen, überhaupt nicht lagen und dass er den Prokurator schon jetzt wieder in die gallische Provinz zurückwünschte. Eine subtile Spannung lag in der Luft. Die nächsten Tage versprachen, interessant zu werden,
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