Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
anderen Kelch eben abgestellt, als Haritha hereinkam. Die Fürstin hatte sich umgezogen und trug nun weite Gewänder und Schleier in verschiedenen Abstufungen von Gelb. Darin strahlte sie wie die Sonne, doch in ihrem Gesicht spiegelte sich diese Heiterkeit nicht wider. Salome vermochte nicht in den unergründlichen Zügen der Nabatäerin zu lesen. Haritha blickte sie aus ihren dunklen, geheimnisvollen Augen an, als sie sich zu ihr setzte.
»Nun bist du also hier«, sagte Haritha.
Salome wusste darauf nichts zu antworten, denn es war überflüssig, Harithas Aussage zu bestätigen.
»Ich habe dich vorhin erschöpft gesehen. Bist du krank?«
»Nur eine Schwäche, die sich bei Überanstrengung einstellt.«
»Wir sind uns ähnlich, weißt du das?«
Diese Feststellung überraschte Salome. »Inwiefern?«
»Wir sind beide Ausgestoßene dieses Volkes …«
»Ich bin nicht ausgestoßen«, protestierte Salome.
Haritha lächelte mild. »Doch, das bist du. Du willst es nur noch nicht wahrhaben. Wenn du lieber andere Parallelen vorziehst: Wir fühlen uns hier beide nicht wohl, wir sind beide Fürstinnen ohne Macht – und wir ermüden beide schnell.« Als erinnere sie sich an etwas, trank sie einen großen Schluck aus dem Kelch. Anschließend seufzte sie erleichtert.
»Du siehst nicht aus, als würdest du schnell erschöpft sein«, nahm Salome den Faden auf.
»Oh, Erschöpfung muss nicht körperlicher Natur sein. Das weißt du ja auch.«
Salome zog die Augenbrauen hoch. »So?«
»Du trauerst einem Mann nach und ich …« Sie ließ offen, wem oder was sie nachtrauerte und nahm stattdessen einen weiteren Schluck des Trankes. »Er ist Grieche, nicht wahr? Wundere dich bitte nicht, dass ich so manches weiß. Ich habe mich in den letzten Tagen ein wenig über dich informiert, und was ich hörte, hat mir gefallen.«
Harithas Arm vollführte eine anmutige Bewegung, um einen der feinen Stoffe, der allzu weit über die Hand gerutscht war, zurückzuschieben, und anschließend streifte sie den Kopfschleier ab. Ihr schimmerndes, schwarzes Haar reichte weit über die Schultern.
Salome fand sie wunderschön.
»Dann bist du im Vorteil«, stellte sie fest. »Ich weiß kaum etwas über dich.«
Haritha nickte. »Darum bist du hier.« Sie rief etwas auf Nabatäisch, das der Dienerin galt, und nur einen Augenblick später tauchte diese mit Stoffen und einer Schatulle beladen auf und legte diese vor Haritha ab. Dann verschwand sie wieder.
»Das ist für dich«, erklärte Haritha. »Ich habe die für dich passende Kleidung ausgesucht: warme, tiefgründige Farben bei den Stoffen und fein gearbeiteter Schmuck aus meiner Heimat.«
Haritha breitete die Tücher und Schleier nacheinander in einem Kreis um sie herum aus – zimtfarbene, himbeerrote und dunkelviolette Gewänder.
»Das kann ich nicht annehmen«, sagte Salome überwältigt.
Als habe Haritha sie nicht gehört, sprach sie weiter. »Dazu helle Bronze und Bernstein, rate ich dir. Ich selbst neige zu Silberschmuck, aber der ist zu kalt für dich, und Gold kommt überhaupt nicht in Frage. Gold ist aufdringlich, du kannst es in zwanzig Jahren tragen, nicht jetzt.«
Haritha musterte Salomes Haar mit einem skeptischen Blick. »Diese Frisur hat dir deine Mutter empfohlen, richtig? Dachte ich es mir doch. Sie macht dich zu vornehm.«
»Was ist falsch daran?«
»Vornehm ist unsinnlich. Vornehm ist westlich. Trage dein Haar offen wie eine Araberin und umkränze es mit einem Reif. Hier, setze dir den auf.«
Zwischen ihren Fingerspitzen schaukelte ein Bronzereif, versehen mit geheimnisvollen Ornamenten. Er sah aus wie vor langer Zeit in einer fernen Kultur gefertigt.
Salome streckte die Hand nach ihm aus, scheute jedoch im letzten Moment zurück. Diese Geschenke waren derart prächtig, dass sie schon unter normalen Umständen beschämt gewesen wäre; sie nun ausgerechnet von Haritha zu bekommen, einer Frau, die sie erst seit einer Stunde kannte … Noch dazu das problematische Verhältnis, in dem sie zu ihr stand.
Haritha schien das Problem nach einem einzigen Blick in Salomes Augen erfasst zu haben. »Du zögerst, weil du die Tochter der Frau bist, die mit meinem Mann schläft, so ist es doch?«
Salome senkte den Blick und rutschte unruhig auf ihrem Kissen herum.
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Salome. Diese Sache interessiert mich weniger, als du glaubst. Sie ist unwichtig.« Haritha blickte einen Moment in den Kelch und leerte ihn vollends. Der Tee schien bei ihr eine
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