Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
zunächst allerdings war nur ihr bevorstehendes Gespräch mit dem Prokurator für sie wichtig.
Pontius Pilatus empfing Salome in dem geräumigen Gemach, das ihm von Antipas zur Verfügung gestellt worden war. Als sie eintrat, war eine junge Sklavin gerade dabei, seine Hände zu maniküren, und eine andere massierte von hinten seine Stirn mit einer grünlichen Salbe ein.
»Die Luft in diesem Land ist zu trocken«, erklärte er, als wolle er noch heute ein Edikt dagegen erlassen. »Wenn ich mich nicht jeden Tag einfette, sehe ich in einem halben Jahr aus wie eine Schildkröte. Wie haltet ihr Juden diese trockene Hitze aus? Oder haltet ihr sie überhaupt aus? Vielleicht ist es gerade die heiße Luft, die euch so unvernünftig und widerspenstig macht«, überlegte er allen Ernstes.
»Eine gewagte These«, kommentierte Salome so neutral wie möglich.
»Gewiss, ich habe Recht. Die Juden, die in Rom leben, sind viel friedlicher als ihr hierzulande. Das liegt zweifelsohne an der Luft.«
Salome wusste so gut wie nichts über die Diaspora, die in der Welt verstreut lebenden Juden, daher schwieg sie dazu.
Pilatus schien mit seiner Theorie und der Tatsache, dass Salome ihr nicht länger widersprach, zufrieden. Er gab den Sklavinnen schweren Herzens zu verstehen, dass sie die Körperpflege einzustellen hätten, dann wandte er sich seufzend an Salome.
»Nun denn, was kann ich für dich tun, Fürstin?«
»Vielleicht könnten wir meine Angelegenheit auf einem Spaziergang besprechen«, schlug sie vor. Förmliche Audienzen, wie Herodias sie als Regentin Ashdods liebte, hatte sie noch nie gemocht, wohingegen ein Spaziergang meist eine ungezwungene Atmosphäre zwischen Gesprächspartnern schuf. Aus einem Bittgang konnte so rasch eine angenehme Unterhaltung werden.
Dem Prokurator entglitten jedoch die Gesichtszüge. »Spaziergang? Beim Apoll, ich bin schon seit Jahren nicht mehr spazieren gegangen. In Rom gibt es einen Arzt, der mir glaubhaft versichert hat, dass der Mensch nicht für Wanderungen von mehr als hundert Schritten am Stück geschaffen sei. Doch meinetwegen, ein einziger Spaziergang wird nicht ernsthaft schaden. Von Galiläas neuer Hauptstadt habe ich noch überhaupt nichts gesehen, Antipas scheint zu glauben, der Name der Stadt sei wichtiger als sie selbst. Du kennst doch sicher einen Platz – einen nicht allzu fernen, bitte – von dem aus man einen schönen Blick auf sie hat?«
Salome schmunzelte und nickte. Sie verließen den Palast und flanierten auf einem gewundenen Weg, der sie vom See weg einen Hügel hinaufführte.
»Ich nehme an«, begann er das Gespräch, »dass dein Besuch mit der geplanten Küstenstraße zusammenhängt, Fürstin.«
Salome war für einen Moment aus dem Konzept gebracht. Sie hatte sich darauf konzentriert, ihre Bitte bezüglich Timon vorzutragen, hatte sich die Worte bereits zurechtgelegt. Außerdem war es unklug, jetzt über die Straße zu sprechen, denn sie hatte noch immer die gleiche Meinung zu diesem Thema – und die würde Pilatus nicht gefallen.
»Es gibt darüber noch Klärungsbedarf«, formulierte sie umständlich.
»Coponius hinterließ mir in den Akten einen Vermerk, dass du vehement darauf bestehst, den Abschnitt durch Ashdod mit eigenen Arbeitern zu bauen. Ist das so?«
Nun würde also das geschehen, was sie als Letztes wollte: eine Auseinandersetzung über ein paar Pflastersteine statt ein Gespräch über Timon. Sie überlegte noch, wie sie reagieren sollte, als Pilatus plötzlich auf halber Höhe zum Gipfel des Hügels stehen blieb.
»Puh«, stöhnte er und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Diese Sonne in Judäa ist ein Vorgeschmack auf den Orkus, und der Hügel ist in Wahrheit ein Berg. Ich komme mir vor wie eines dieser gehöckerten Tiere, die wie Schafe blöken und von denen es hier so viele gibt wie Ratten in Rom. Wie heißen die? Na, egal. Vielleicht hätte ich besser einen Sklaven mitgenommen, der einen Sonnenschirm über mich hält. Sollen wir einen rufen?«
»Wir haben es nicht mehr weit«, beruhigte Salome den Römer. Erst jetzt, da sie Pilatus keuchen sah, bemerkte sie, wie unproblematisch der Anstieg für sie selbst war. Sie fühlte keine Anstrengung und konnte mit langen Atemzügen den milden Kiefernduft genießen. Vor drei Wochen – kurz nach der Episode in Harithas Gemächern – hatte sie begonnen, jeden Tag zwei Stunden lang mit Haritha zu tanzen oder, besser gesagt, zu üben. Ihre anfänglichen Bemühungen waren lächerlich gewesen und
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