Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
mir die Ehre erweisen, neben mir auf der Tribüne zu sitzen? Solche Zeremonien können sich ewig hinziehen, und ich kann mir ein schöneres Gesicht als das von Antipas neben mir vorstellen. Außerdem riecht er wie eine ganze Hammelherde aus dem Mund. Benutzt ihr hier kein Rosenwasser? Na, ich werde ihm ein paar Fläschchen schenken, dann …«
In diesem Moment kam Kephallion aus einem schmalen, halb verwachsenen Seitenweg und ging ohne Gruß an ihnen vorbei.
Pilatus blickte ihm etwas verwundert hinterher. »Ein freundlicher Mitmensch«, kommentierte er das Verhalten ironisch. »Wer war das?«
»Ein Verwandter. Kephallion ist sein Name, aber es ist besser, ihn schnell wieder zu vergessen, glaub mir.« Sie nickte Pilatus zum Abschied zu und ging hinunter zum See, während er dankbar die kühlen Gänge des Palastes betrat.
Am liebsten hätte er ihn angespuckt. Am liebsten hätte er ihn geschlagen, beschimpft, verhöhnt und verjagt. Am liebsten hätte er all das mit dem Römer gemacht, was die Römer mit seinem Volk machten.
Kephallion saß in seinem Gemach und gab sich finsteren Gedanken hin. Er hatte von Zacharias gehört, dass man beim abendlichen Festmahl zu Ehren des Prokurators auf die üblichen Bodenkissen und niedrigen Tische verzichten und stattdessen römische Liegebänke benutzen werde.
»Ich lege mich nicht auf die Bänke«, hatte Kephallion zu Zacharias gesagt.
»Das ist Höflichkeit, Kephallion, nicht mehr. Niemand erwartet, dass du für immer auf Liegebänken isst.«
»Nicht für einen Tag. Nicht für eine einzige Stunde. Es ist ein heidnischer Brauch.«
»So ein Unsinn«, zischte Zacharias. »Eine Marmorbank ist ein Steingebilde, nichts anderes. Wann geht es endlich in deinen Schädel hinein, dass nicht jeder Krümel eine riesenhafte symbolische Bedeutung hat?«
»Ich gehe nicht, und wenn ich nicht gehe, bleibt auch Berenike hier.«
Daraufhin war seine Frau, die sich auf den festlichen Abend gefreut hatte, weinend auf ihr Zimmer gerannt, aber das war nur eine Nebensache, die ihn nicht weiter kümmerte. Es ging hier um etwas Großes, um ein Prinzip, um den Kampf gegen die Verfremdung des heiligen Landes und um ein brutales Imperium, nicht um die Tränen eines Weibes, das ihm noch immer keine Söhne geboren hatte.
Der verdammte Römer konnte ihn nicht täuschen. Ihn nicht! Hinter dem so friedlich aussehenden Pontius Pilatus und seinen Späßen erhob sich in Wahrheit der Schatten einer gewaltigen Militärstreitmacht, die unbezwingbar schien. Mit Ausnahme des fernen Mauretanien beherrschte sie jeden einzelnen Flecken Küste des mare nostrum . Unser Meer! Mit jedem Wort, das die Römer prägten, beleidigten sie andere Völker! Sie gaben vor, die Kultur der eroberten Länder zu achten, beließen ihnen die Tempel und die Priester, gestanden ihnen eigene Richter und Gesetze zu, machten Witze und pflegten den Schein, jeder dürfe seine eigene Meinung äußern
Wie verlogen und arrogant diese Römer waren. Solange man dachte, was sie dachten, durfte man gerne eine eigene Meinung haben, wehe jedoch, es kam einmal anders. Wehe, man predigte gegen ihre Methoden, dann zeigten sie ihr wahres Gesicht. Dann marschierten ihre Legionen, dann würde auch aus dem schmächtigen, glatzköpfigen Pilatus eine Bestie, ganz gewiss.
Zacharias war schließlich alleine zu dem Mahl gegangen. Von ihm ließ sich Kephallion schon lange nichts mehr sagen. Der Alte war ein dummer Schwätzer. Er gehörte zu jenen, die sich damit begnügten, die thora und alle Schriften wieder und wieder herunterzubeten, gelehrige Sprüche von sich zu geben, und im Übrigen alles ignorierten, was links und rechts von ihnen geschah. Zacharias und seine Sadduzäer erklärten, die Besetzung Judäas sei doch überhaupt nicht schlimm, solange man seinem Glauben nachgehen könne, und die Überflutung mit Fremden sei akzeptabel, solange diese keine heidnischen Kulte auf dem Boden Gottes praktizierten. Fromm nannten sie diese Haltung. Schwach nannte er sie. Die Sadduzäer waren in seinen Augen kraftlose und verweichlichte Eunuchen des Glaubens, die nichts so sehr fürchteten wie die Auseinandersetzung. Selbst die Pharisäer, die er für ihre strengen moralischen Prinzipien achtete und deren herausragender Prediger Rabban Jehudah hier am Hofe für eine gewisse Sittlichkeit sorgte, arrangierten sich mit den Götzenanbetern, solange diese sich nicht in die internen Belange der Religion einmischten. Sie alle dachten nur an sich und ihre kleinen
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