Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
können wir reicher und mächtiger werden, als du es dir vorstellen kannst. Hast du dir eigentlich schon bewusst gemacht, dass ich Ashdod mit in die Ehe bringe? Ich bin nun alleinige Regentin, und selbst wenn meine Tochter wollte, könnte sie uns keine Schwierigkeiten machen. Ashdod ist reich. Ashdod hat etwas, das du brauchst: einen Zugang zum Meer, einen Hafen. Zusammen mit Galiläas Vielfalt an Waren ist er pures Gold wert. Und – ich habe beste Beziehungen nach Rom in den Senat.«
Er schien noch nicht überzeugt, daher fügte sie hinzu: »Denke auch an die zehntausend Nächte, die vor uns liegen, in denen wir uns alles geben, was wir haben. Wir werden die Nächte herbeisehnen und am nächsten Morgen das Licht der Sonne verfluchen. In Gold und Perlen werden wir baden. Haritha konnte dir all das nicht bieten. Nun wähle, Antipas, Geliebter.«
Seine Lippen zitterten. Wie ein Mondsüchtiger schlurfte er zu Herodias und beugte sich über sie. Seine Hände tasteten über ihre Beine, über die weichen Hüften und den Rücken. Und wieder verlor er sich in ihren Augen, die ihn wie erbarmungslose Wärter gefangen hielten. Er hatte ihrer Schlechtigkeit nichts entgegenzusetzen, im Gegenteil, sie zog ihn magisch in ihren Bann und war stärker als jede Angst oder Vernunft, die ihn vielleicht hätte retten können.
»Vergib mir«, flüsterte er und vergrub sein Gesicht in Herodias’ üppigen Haaren. »Vergib mir, Herr.«
Als Salome wieder in Galiläa eintraf – sie fühlte sich elend und leer wie lange nicht -, fand sie den Palast von Tiberias nahezu menschenleer vor. Auf Anfrage wurde ihr und Berenike von einer alten Bediensteten erklärt, dass sich vor noch nicht einer Stunde eine Prozession in Bewegung gesetzt habe, an der alle Familienmitglieder, Höflinge und der Großteil der Dienerschaft teilnahmen. Ziel war eine kleine Senke im Hinterland, wo gelegentlich Züchtigungen und Hinrichtungen stattfanden. Dort sollte Haritha heute gesteinigt werden.
Die Ungeheuerlichkeit dieser Nachricht lähmte Salome, aber als ihr dann die Greisin mit mitleidigem Blick die Ereignisse schilderte, die sich zugetragen hatten, musste sie sich setzen. Auch wenn Theudion ihr oft weh getan hatte, so war er doch ihr Vater gewesen. Dass auch Zacharias umgekommen war, Berenikes Schwiegervater, war unter diesen Umständen nur eine Nebensache.
Ihre Freundin tröstete sie, so gut es ging, doch sie drang mit ihren Worten kaum zu Salome durch.
»Sie war es nicht«, stieß Salome hervor. »Ich weiß es. Sie hatte keinen Grund.«
»Wenn man der Untersuchung glauben darf …«
»Genau das darf man nicht«, erwiderte sie heftig. » Rabban Jehudah hasst Haritha. Schnell, wir müssen die Prozession einholen.«
»Wie?«, fragte Berenike.
Salome rief zwei Soldaten herbei, die sie auf Pferden mitnehmen sollten. Berenike machte Schwierigkeiten, weil sie die Umarmung des Soldatenleibes für unsittlich hielt, aber Salome verspürte nicht die geringste Lust, darüber zu diskutieren, und ließ ihre Freundin wortlos zurück.
Der Ritt ging über staubige Sandpisten und vorbei an hellgrünen Dattelhainen, die Antipas hier hatte anlegen lassen. Der süße, klebrige Saft der überreifen Früchte zog die letzten Bienen des Jahres und Scharen von Vögeln an. Ihr wildes Gezwitscher mischte sich mit dem Galopp des Rappen, auf dem Salome saß. Ihr gelber Schleier über dem Gewand flatterte im Wind. Sie presste ihr Gesicht an den Rücken des Soldaten, und auf ihren Lippen formten sich in ständigem Wechsel die Namen ihres Vaters und ihrer Freundin. »Nicht auch noch sie«, flüsterte sie. »Bitte nicht.«
Endlich kam die Prozession in Sichtweite. Sie erreichte soeben die Senke, die Salome ein wenig an den Steinbruch bei Ephesos erinnerte, wenngleich die Felswände hier nicht annähernd so hoch waren und das Gestein braun, als habe die Sonne es verbrannt. Die Senke maß vielleicht hundert Schritt im Durchmesser, war voll von Geröll und bot keine Fluchtmöglichkeit.
Die geplante Steinigung hatte sich herumgesprochen. Aus den nahe gelegenen Dörfern kam das Volk herbei und versammelte sich nahe der fürstlichen Familie am oberen Rand der runden Senke. Noch nie war eine derart prominente Sünderin hier bestraft worden.
Als die Soldaten Haritha näherbrachten, sprang Salome vom Pferd und lief zu ihrer Freundin. Sie achtete nicht auf die anderen und deren aufgeregtes Getuschel. »Haritha«, hauchte sie und fiel ihr um den Hals.
Haritha konnte die Umarmung nicht
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