Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
erwidern, denn ihre Hände waren gebunden, aber sie liebkoste Salome mit einem liebevollen Blick aus ihren dunklen Augen. »Ich war es nicht«, flüsterte sie.
»Ich weiß.« Salome wischte sich eine Träne von der Wange. »Du musst dich verteidigen, Haritha. Ich werde dich verteidigen.«
Die Nabatäerin schüttelte gelassen den Kopf. »Es war nur eine Frage der Zeit, dass so etwas geschehen würde. Ich bin nicht zu retten. Du, Salome, musst jetzt an dich denken. Du musst dein Leben gestalten, es mit ganzer Kraft packen und festhalten. Erinnere dich an das, was ich dir bei unserer ersten Begegnung sagte: Die Leidenschaft steckt in dir.«
Die Soldaten zerrten Haritha weiter. »Leb wohl«, rief sie noch, dann banden die Wachen sie los und schubsten sie die Senke hinunter. Dort stand sie allein und war von einer Mauer aus schweigenden Herodianern umgeben, ihren Henkern. Niemand rührte sich. Keiner wollte den ersten Stein werfen.
Salome rannte zu Antipas, der gemeinsam mit ihrer Mutter und Rabban Jehudah auf einer erhöhten Felsplatte stand. Sie beschwor ihn, Haritha zu begnadigen. »Noch ist es Zeit. Ich lege meine Hand für sie ins Feuer. Sie war es nicht.«
»Welche Vermessenheit!«, rief Rabban Jehudah mit riesigen Augen. »Wie kannst du es wagen, das richterliche Urteil anzuzweifeln!«
Salome ignorierte ihn. »Onkel, du musst mir glauben. Ich war viel mit ihr zusammen. Ich hätte doch gemerkt, wenn sie einen Liebhaber gehabt hätte.«
»Du warst mit ihr zusammen?«, fragte Antipas interessiert. »Wann und warum? Was hast du bei ihr getan?«
Salome hielt es für einen schlechten Zeitpunkt, über die Tänze zu sprechen, denn in den Augen des konservativen, pharisäischen Hofes würde es zusätzlich ein schlechtes Licht auf Haritha werfen. Sie kam ohnehin nicht dazu zu antworten, denn Herodias mischte sich ein.
»Die Nabatäerin hat Theudion umgebracht, Salome will es nur nicht wahrhaben. Sie ist verwirrt, was ja nur verständlich ist.«
»Wenn ich verwirrt bin«, entgegnete Salome, »dann nur über die Oberflächlichkeit, mit der die Untersuchung geführt wurde.«
Herodias zog sie am Ellenbogen ein Stück von den anderen weg und zischte ihr leise zu: »Bist du des Wahnsinns? Du weckst Zweifel an Harithas Schuld.«
Salome sah ihre Mutter flehend an. »Ja glaubst du denn, ich will nicht den Mörder meines Vaters bestraft sehen? Ich bin mindestens so interessiert daran wie du. Es muss ein anderes Motiv für die beiden Morde geben, davon bin ich überzeugt. Vater vergiftet, Zacharias von einer starken Hand erdolcht – das passt alles nicht zusammen.«
»Ich finde, es passt sehr wohl zusammen.«
Salomes Blick wurde fest. »Du freust dich ja bloß, weil deine Rivalin stirbt und der Weg frei geworden ist, um …« Sie stockte und wurde bleich. Ihre eigenen Gedanken erschreckten sie, drängten sich jedoch mit aller Macht auf. Der Weg für Herodias und Antipas war frei, beide waren sie von ihren jeweiligen Gatten befreit worden. An einen Zufall konnte sie nicht glauben. Nur der Tod von Zacharias passte noch nicht in dieses Bild.
»Du warst es«, flüsterte sie mit heiserer Stimme. »Du hast Vater getötet. Du hast ihn immer schon betrogen, mit Antipas, mit Coponius …«
Plötzlich fügten sich die einzelnen Bilder, die sie von ihrer Mutter hatte, zu einem Mosaik zusammen. Und dieses neue Bild raubte ihr fast den Atem. »Timon«, sagte sie dumpf. »Nicht Coponius hatte den Plan, Timon beiseite zu schaffen. Welches Motiv hätte er haben sollen? Du steckst dahinter. Du hast Coponius bestochen, ihm das Geld gegeben, das er für seinen Senatorenrang brauchte, und Vater ist dahinter gekommen. Er kam nach Tiberias, um mit Pilatus zu sprechen, aber bevor er die Gelegenheit dazu hatte, hast du …« Sie riss die Augen auf. »Du bist ein Monster.«
Einen Lidschlag später landete Herodias’ Hand klatschend auf ihrer Wange.
»Das sagst du nicht noch einmal«, zischte Herodias. Doch hinter ihrer Entschlossenheit verbarg sich Todesangst. Salome war der Wahrheit gefährlich nahe gekommen, und wenn auch niemand ihrem leisen Disput folgen konnte, so hatte er doch genug Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Familie verharrte noch immer bewegungslos, niemand warf einen Stein. Zweifel lagen in der Luft. Doch wie so oft, wenn sie in die Enge gedrängt wurde, ergriff Herodias die Initiative. Einer der Versammelten hatte mindestens so viel Interesse wie sie daran, keine neue Untersuchung zu ermöglichen. Sie warf Kephallion
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