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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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gereist war und dort eine erste Siedlung gegründet hatte, aus der später Rom hervorging, jenes Rom, das weit mächtiger wurde als Hellas und es vor zweihundert Jahren einfach geschluckt hatte. Natürlich, wenn die Römer heute bellten, dann wackelte auch Hellas sogleich mit dem Schwanz. Man tat, was die mächtigen Italer erwarteten. Doch insgeheim verachtete man sie wegen ihrer grobschlächtigen, aufdringlichen, protzigen, kulturlosen Art.
    »Das Imperium wird es nicht mehr lange machen«, hatte Kallisthenes erst neulich gesagt und schadenfroh gegrinst: »Die Römer haben ihren Zenit überschritten.«
    »Woher willst du das wissen?«, hatte Timon gefragt.
    »Oh bitte, Timon, sieh sie dir an. Sie zeigen alle Anzeichen des Untergangs. Ihr Adel, das Patriziat, ist bestechlich, heuchlerisch und unterwürfig, so sehr, dass das eigene Volk sich nicht mehr für das interessiert, was der Senat tut. Der Kaiser reißt unter immer neuen Vorwänden noch mehr Macht an sich und schränkt die Befugnisse der Institutionen ein. Wer das, was er sagt, in Zweifel zieht, wird als ›staatszersetzend‹ eingestuft. Die Masse wiederum wird mit immer neuen, widerlichen Gladiatorenspielen dumm gehalten und merkt überhaupt nicht, wie tief sie schon gesunken ist. Nein, Timon, eine solche Gesellschaft ist ungesund, und wer ungesund lebt, wird von der nächstbesten Krankheit befallen und stirbt. Da hilft auch das geschliffene Schwert in der Hand nicht mehr, wenn der Feind innen sitzt.«
    Obwohl Kallisthenes’ Sorge um das Imperium vorgetäuscht hatte, durchschaute Timon, dass es dem Meister im Grunde eine Wonne war, seine Überzeugungen immer und immer wieder vor nickenden griechischen Freunden zu wiederholen. Timon konnte nicht anders, als diesen sanften intellektuellen Hochmut gebildeter Griechen zu mögen. Er wusste, dass sie bei weitem nicht so oft Recht hatten, wie sie selber glaubten, doch sie waren ihm mit all ihren kleinen Fehlern sympathisch. Das Blut und Erbe seines gelehrten Vaters konnte und wollte er nicht verleugnen.
    Timon stützte seine Ellenbogen auf die Knie und konzentrierte sich wieder auf die Geschehnisse in der orchestra , wo Fackeln den Sand gelb färbten und die Schatten Klytämnestras und ihres Geliebten vorüberhuschten.
    Doch nur einen Moment später drängelte sich ein Mann neben ihn. Timon sah auf.
    »Kallisthenes!«, flüsterte er überrascht. »Was tust du denn hier?«
    »Verzeihung, ich wohne hier in Epidauros. Warum soll ich nicht ins Theater gehen?«
    »Du hast mir gesagt, dass du dieses Stück in- und auswendig kennst.«
    Kallisthenes verzog das Gesicht. »In der Tat. Meine Eltern haben mich von klein auf in die Stücke von Aeschylos mitgenommen, und ich glaube, dass das einer der Gründe ist, weshalb ich bis heute nicht geheiratet habe. Wer will schon Gefahr laufen, eine Klytämnestra zum Weib zu bekommen?«
    Timon schmunzelte. »Nun hat es dich aber doch noch hierher verschlagen.«
    »Mich hat es nach der Nachricht, die ich erhalten habe, nicht mehr im Haus gehalten.«
    »Und die wäre?«
    »Nein, nein, sieh dir ruhig erst an, wie Klytämnestra mit ihrem Aegisthos die Herrschaft genießt und später von ihren eigenen Kindern getötet wird.«
    Timon gab seinem ehemaligen Meister einen auffordernden Stoß in die Seite. »Nun rede schon«, flüsterte er.
    Kallisthenes ließ sich nicht mehr lange bitten. Seit der persönliche Abgesandte Philipps von Basan ihn in der Dämmerung aufgesucht hatte, wurde ihm abwechselnd heiß und kalt. Mal zerbrachen seine Gedanken wie kristallene Scherben in tausend kleine Stücke, mal sammelten sie sich zu einem Prisma und erschufen vor seinem geistigen Auge eine Stadt aus Licht. Athene, Schutzgöttin der Künstler, sollte dafür gepriesen sein, dass nun endlich sein lang gehegter Traum in Erfüllung ginge: Eine ganze Stadt würde er mit seinen eigenen Händen formen.
    Natürlich war er zunächst misstrauisch gewesen. Kallisthenes fragte nach der künstlerischen Freiheit, doch sie war ebenso weitgehend, wie die Bezahlung großzügig war.
    »Ich muss mir doch nicht von anderen Architekten hineinpfuschen lassen?«, hatte er gefragt.
    »Mitnichten«, hatte der pausbäckige Beamte geantwortet. »Das Fürstenpaar hat ausdrücklich nur euch beauftragt, auf meine Empfehlung hin. Lediglich euer ehemaliger Schüler Timon soll noch künstlerisch mitwirken.«
    Kallisthenes ging das Herz auf. Für Timon war dieser Auftrag ein Katapult, das ihn in die höchsten Höhen des architektonischen

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