Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
Olymps schleudern würde. Welcher andere Architekt durfte je mit gerade dreißig Jahren eine ganze Stadt entwerfen! Wer konnte wissen, ob dieses Philippi nicht eines Tages ein zweites Alexandria würde, ein zweites Athen oder Babylon oder Karthago oder … Wenn alles gut ging und Philippi erst einmal gebaut war – der Ruhm wäre unermesslich und unsterblich. Die Betonung lag allerdings auf dem ersten Teil des Satzes. An einem gigantischen Bauvorhaben wie diesem konnte man sich auch die Finger verbrennen.
    So nüchtern wie möglich schilderte Kallisthenes den Besuch des Schreibers, doch ein gelegentliches Zischen einiger Zuschauer veranlasste ihn, Timon am Arm zu packen und hochzuziehen. Er führte ihn aus dem Theater und setzte seinen Bericht erst wieder fort, als sie bei der Zypressenallee angekommen waren, dem Weg zwischen Epidauros und dem Theater. Sie hatten keine Fackeln bei sich, und die Nacht war beinahe mondlos. Unter ihren zaghaften Schritten knirschte der Kies.
    Timon schwieg die ganze Zeit über, und auch nachdem Kallisthenes alle Vorteile in sämtlichen Farben ausgemalt hatte, blieb Timon stumm.
    »Nun?«, drängte Kallisthenes nach einer Antwort.
    »Ich weiß nicht«, murmelte Timon. »Es ist doch sehr weit weg.«
    Kallisthenes’ Herz war nahe daran auszusetzen. War das wirklich Timon, der da sprach? Der Timon, der die halbe Welt bereist hatte, dem Freiheit und Erfahrung über alles gingen? Er blieb stehen. In den Augen seines »Jungen«, wie er ihn noch immer nannte, las er Furcht und sogar ein wenig Zorn.
    »Ich weiß«, sagte Kallisthenes mild. »Vor einem solch ungeheuren Auftrag kann einem bange werden. Doch du bist ja nicht allein. Einem von uns wird immer eine geniale Idee kommen.«
    Obwohl – oder weil – Timon darauf nicht reagierte, begriff Kallisthenes, dass er das Problem noch nicht erkannt hatte. Er ging rasch alle Möglichkeiten durch, die Timon veranlassen könnten, einen solchen Auftrag abzulehnen, und schließlich blieb er bei der Liebe hängen. Kallisthenes selbst war zweimal in seinem Leben verliebt gewesen, doch er hatte diesen Zustand nie gemocht. Die Frauen, so schien ihm, lenkten ihn nur von viel Genussvollerem ab – von der Schönheit der Reliefe und der Lust am Gestalten. Um glücklich zu sein, brauchte er keine Frau. Und es war ihm so vorgekommen, als eifere Timon ihm auch auf diesem Gebiet nach. Seit der Junge seine Ausbildung bei ihm begonnen hatte, war nie mehr über Frauen gesprochen worden, jedenfalls nicht im erotischen Sinn. Als Gattinnen oder Töchter von Auftraggebern redeten sie ungefragt bei der Baugestaltung mit, meist nicht zum Vorteil des Entwurfs. Sie waren ein Problem, das bewältigt werden musste, mehr nicht. Ab und an verguckte sich eines der edlen Töchterchen in Timons Schenkel, wenn er auf dem Pferd saß, oder in seine langen blonden Haare, und es kam sogar vor, dass die Väter dann vorsichtig und diskret bei Timon vorfühlten. Ebenso diskret löste der Junge dann dieses Problem, indem er zwei- oder dreimal mit den Töchtern ins Theater oder zu Sportwettbewerben ging, und irgendwie schaffte er es dabei, den Frauen zu vermitteln, dass er nicht interessiert sei. Ob sie nun blond oder schwarzhaarig, mollig oder hager, klein oder groß, vollbrüstig oder langbeinig waren: Er ließ sie alle stranden. Einige glaubten schon, dass Timon der sokratischen Liebe anhing, der Männerliebe, aber Kallisthenes wusste es besser.
    »Du musst irgendwann einmal darüber hinwegkommen, dass du eine Jüdin liebtest«, sagte Kallisthenes bewusst streng. »Du musst dich diesem Land stellen, um die Vergangenheit zu bewältigen.«
    Timon ächzte verächtlich auf. »Das sagt gerade der Richtige.«
    Kallisthenes hob das Kinn und zog die Augenbrauen hoch. »Mein Junge, als ich die Entscheidung traf, die Architektur wichtiger als die Frauen zu nehmen, habe ich nichts Unfertiges zurückgelassen. Alles war abgeschlossen. Keine dieser Frauen hätte je verhindert, dass ich einen grandiosen Auftrag annehme. Und dasselbe muss auch für dich gelten, sonst nenne dich nicht länger meinen Schüler.«
    Selbst durch die Dunkelheit konnte Kallisthenes sehen, wie Timon von dieser Erwiderung getroffen war. Manchmal musste man so mit ihm sprechen, denn nur diese Härte rüttelte ihn auf.
    »Entschuldige«, sagte Timon. Sein Herz war noch immer schwer, doch das musste er mit sich alleine ausmachen.
    »Angenommen«, entgegnete Kallisthenes väterlich. »Und nun lass uns über einen Grundriss

Weitere Kostenlose Bücher