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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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seit Jahren nicht mehr, noch größer als jene, die sie empfunden hatte, als Pilatus ihr den Ort von Timons Gefangenschaft mitteilte. Sie fühlte, dass nichts mehr dazwischen kommen würde, dass sie Timon wiedersehen und in die Arme schließen würde. Diese Aussicht erfüllte sie mit wohltuender Befriedigung.
    Natürlich musste sie vorsichtig sein. Sie war findig genug gewesen, den Schreiber nicht sofort über Timon auszufragen, sondern vorher über dessen Lehrer und Partner Kallisthenes. Nun musste sie auch noch einen Weg finden, Timon zu ihr, ins Fürstentum Basan, zu holen, und zwar auf eine Weise, die seine Anwesenheit unverdächtig erscheinen ließ. Der Bau der Ehrensäule wäre eine hervorragende Gelegenheit gewesen. Dummerweise hatte sie selbst die Argumente geliefert, die gegen den Auftrag sprachen.
    Wie immer, wenn sie eine Idee brauchte, die sich einfach nicht einstellen wollte, begann sie zu tanzen. Sie benötigte dazu keine Musik, ihr genügte ein leises Summen, und schon wussten ihre Arme und Beine, was sie zu tun hatten. Den ersten Schritten folgte schnell eine Drehung, dann ein Sprung und eine Biegung des Körpers. Sie überlegte nicht, welche Figur als Nächstes käme, sondern gab sich ganz der Stimmung hin, die von ihren Gefühlen und den Farben, Düften und Geräuschen der Umgebung beeinflusst wurden, so wie sie es von Haritha gelernt hatte. Es machte einen Unterschied, ob sie in der Nähe von sprudelndem oder stillem Wasser, im rauschenden Wind auf den Höhen des Golan oder in ihrem weitläufigen Gemach in Bethsaida tanzte. Die Stille der Wüste und die Schwere des Jasminduftes aus den Lampen sowie die Gedanken an Timon machten ihren Tanz heute langsam und ausgesprochen sinnlich.
    Plötzlich, nach einer Drehung, stand Philipp vor ihr. Sie unterdrückte einen Schrei und fasste sich an die Brust.
    »Du hast mich erschreckt«, keuchte sie.
    »Das tut mir Leid«, entschuldigte er sich, wobei sie bei seiner neutralen Stimmlage nicht wusste, ob er auch meinte, was er sagte. »Du tanzt?«
    Ihr lag eine schnelle Erwiderung auf der Zunge, denn es war offensichtlich, was sie eben gemacht hatte und dass er sie dabei störte. »Ja«, antwortete sie knapp und beobachtete Philipp, wie er zwei weitere Schritte in das Zelt trat. »Geht es dir besser?«, fragte sie ungeduldig.
    »Ja, viel besser. Danke, dass du danach fragst.«
    Seine distanzierte Höflichkeit und die Monotonie seiner Erscheinung gingen ihr auf die Nerven, und sie wünschte sich, dass er endlich wieder in sein eigenes Zelt ginge. Doch er machte keinerlei Anstalten dazu. Er tat ein paar ziellose Schritte hin und her und setzte sich dann auf einen der beiden Schemel, womit klar war, dass er Zeit mit ihr verbringen wollte. Dagegen war nichts zu machen, es sei denn, sie hätte einen hysterischen Anfall bekommen. Obwohl sie kurz vor einem solchen stand und auf Philipp zornig war, setzte sie sich auf den anderen Schemel. Keiner von ihnen sagte etwas.
    In Momenten wie diesem, wenn sie wie tot nebeneinander saßen, wurde Salome von der Stille erdrückt. Philipps Schweigen war wie eine Gefangenschaft für sie, aus der sie nicht herauskam. Während der Mahlzeiten sprachen sie häufig kein Wort, obwohl sie nicht böse miteinander waren. Es gab einfach nichts zu sagen, und Philipps Abscheu vor belangloser Konversation tat ein Übriges. Heute war es noch schlimmer als sonst – und doch auch wieder nicht. Timon war vor wenigen Stunden in diese Welt eingedrungen mit all seiner Spontaneität und seinen immensen Gefühlen. Der Kontrast zwischen Philipp und ihm hätte nicht größer sein können, ebenso wenig der Unterschied zwischen einem Leben mit ihm und dem Leben, das Salome an Philipps Seite führte. Mehr denn je erstickte Salome das Schweigen zwischen ihr und ihrem Mann.
    Andererseits glaubte sie heute zum ersten Mal, diese Stille bald besiegen zu können. Jetzt, wo Timon aus der Erinnerung in die Wirklichkeit getreten war, gab es neue Hoffnung für sie. Die rettende Idee, wie sie Timon wiedersehen konnte, war ihr bereits beim Tanzen gekommen, und während sie stumm neben ihrem Gemahl saß, entwickelte sie sie zu einem Plan weiter.
    »Vielleicht«, begann ihr Mann, »hätten wir den Prediger doch verhaften lassen sollen, was meinst du?«
    Philipp stellte keine Fragen, um ein Gespräch zu beginnen, er musste also Zweifel an seiner Entscheidung haben. Ein Umstand, der selten vorkam.
    »Nicht, dass ich ihn für gefährlich hielte«, beeilte er sich

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