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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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peitschte durch die Luft, ihr Körper reckte und streckte sich und gab mehr als eine Ahnung von seiner Gestalt preis. Ausgelassener hatte sie nie getanzt. Selbst ihr, die durch tausend Tage voller durchtanzter Stunden geübt war, schwindelte es jetzt, und sie atmete schwer. Ja, sie litt. Sie wollte leiden. Sie wollte den Zorn lebendig halten, der in ihr tobte. Sie fragte sich, wie es sein könne, dass niemand der hundert Zuschauer bemerkte, dass nur die Wut sie antrieb, dass nur dieses Gefühl die Schritte bestimmte und ihre Arme kreisen ließ. Doch die Männer sahen in ihren Bewegungen wohl nur Leidenschaft, denn Leidenschaft und Wut waren für sie alle miteinander verschmolzen – und vielleicht hatten sie damit sogar Recht. Salome konnte die beiden Emotionen in dieser Nacht auch nicht voneinander unterscheiden.
    Die Männer machten sich jetzt einen Spaß und warfen Münzen auf die Tanzfläche, und einige versuchten sogar, in Salomes Halsausschnitt zu treffen. Anfeuernde Rufe wurden laut, wildes Geschrei erhob sich. »Sechs«, riefen einige, obwohl der sechste Schleier noch nicht gefallen war. Sie wollten mehr, sie wollten es schneller. Antipas grölte nicht mit ihnen; seine Augen sagten alles, sie waren so voller Begierde wie vor neun Jahren in Harithas Gemächern im Palast von Tiberias. Herodias dagegen kaute auf der Lippe und beobachtete, wie ihr Mann mehr und mehr unter der Last seiner erotischen Phantasien zusammenbrach und den letzten Rest seiner Fassung verlor.
    Doch das kümmerte Salome nicht. Antipas, Pilatus, Philipp – sie alle kamen ihr plötzlich wie Fremde vor. Sie flatterte so gleichgültig an ihnen vorüber wie ein Schmetterling an totem Kraut; selbst Herodias bedeutete ihr nichts. Sie tanzte für ein Ziel, für eine Zukunft, für ein Glück. Sie tanzte für Timon.
    »Sechs«, brüllten die Leute erneut, und so gab sie ihnen den sechsten Schleier.
    Plötzlich verklang die Musik. Zwei, drei Atemzüge lang blieben die Instrumente stumm, dann – düster und schwer – hallte eine der Flöten durch die Nacht. Ein transparenter schwarzer Schleier wand sich um Salomes Brust, ein weiterer um ihre Hüften, alles andere war Haut. Einer Rächerin gleich stand sie vor den Menschen. Die Arme und Hände kreisten wie dämonische Fänge. Langsam, Schritt um Schritt, ging sie auf Antipas zu und fixierte ihn dabei mit ihren schwarzen Augen. Sie achtete nicht auf die Blicke der Männer, die sich zwischen ihren Schenkeln zu einem einzigen begehrenden Auge vereinigten. Philipp wandte sich ab, aber er verließ Salome nicht.
    Als sie dicht vor dem zusammengesackten Antipas stand, als sie seinen Atem auf ihren Oberschenkeln spürte, als sie wie eine gigantische Statue auf ihn herabblickte, löste sie den Schleier ihrer Brust und der Hüften. In diesem Moment verhallten die dunklen Klänge der Flöte. Der Tanz fand sein Ende.
    »Sieben«, schrien einige, doch das waren nur Römer, die nicht begriffen, was gerade vorging. Den Juden stockte der Atem. Ganz und gar entblößt schimmerte Salomes geölter Körper in der Nacht. Eine Frau, eine Fürstin zudem, stand nackt vor ihnen.
    Nur Antipas’ Röcheln unterbrach noch die Stille. Die Gefolge waren, wie dereinst Lots Frau, zu Salzsäulen erstarrt. Sie alle hatten vor nicht einer Stunde noch zahllose Sklavinnen nackt gesehen, ja, sich mit ihnen auf dem Boden gewälzt. Und viele von ihnen waren schöner und jünger gewesen als Salome. Doch diese Frauen waren Ungläubige, sie unverhüllt zu sehen war unbedenklich. Hier nun stand eine gebürtige Jüdin vor ihnen, eine Angehörige ihres erwählten Volkes, eine, die dem Gesetz Gottes untertan war, die rein bleiben musste. Wer war sie, dass sie so etwas wagen durfte? Und warum wagte sie es?
    »Frevel«, flüsterte Rabban Jehudah. »Unerhörter, unschaubarer Frevel.«
    Der Augenblick verging. Einer der Tamburinspieler – ein schwarzer Afrikaner – kam und legte ihr einen der abgeworfenen Schleier um die Schultern. Salome zog den roten Stoff fester um ihren Körper und sah nun beinahe so aus wie vor dem ersten Schritt.
    »Nun hast du bekommen, was du wolltest«, sagte sie laut und hart. Sie wusste, dass Antipas noch nicht in der Lage war zu sprechen. Er japste und schluckte. Er versuchte, zu ihr aufzublicken, doch sein Kopf sank immer wieder nach vorne, so als reiche die Kraft des Nackens nicht aus, ihn zu halten.
    »Nun?«, rief sie fordernd. Ihre Lippen blieben dabei seltsam starr, kein überlegenes Grinsen, kein missbilligendes

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