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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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auszusprechen.
    »Salome«, wimmerte Antipas. »Ich verstoße deine Mutter, ich schenke dir Tiberias und den See Genezareth, ich öffne dir sogar die Pforten zum Allerheiligsten im Tempel, das noch nie von einer Frau erblickt wurde. Aber fordere nicht das Leben des Täufers, denn das hieße, das Schicksal herauszufordern.«
    Salome blieb ungerührt. »Pilatus hat deinen Schwur gehört. Alle haben ihn gehört. Willst du eidbrüchig werden? Willst du dich im Angesicht deiner Verbündeten, deiner Gefolgschaft und des Vertreters des römischen Kaisers zum Betrüger machen?«
    Antipas barg sein Gesicht in den Händen. »Herr«, rief er. »Herr, hilf mir.«
    Zum ersten Mal nach dem Tanz gönnte Salome sich ein triumphierendes Lächeln. »Du kannst wählen, Antipas. Entweder du erfüllst mir den Wunsch, den ich dir als ersten nannte, oder du erfüllst mir den zweiten. Du hast es in der Hand. Du kannst entweder mich aufgeben oder Gott. Die Wahl dürfte dir nicht schwer fallen.«
    Salome hatte keinen Zweifel daran, dass Antipas dem Einen Gott treu bleiben würde. Nicht einmal ein direkter Befehl des Kaisers würde einen abergläubischen, ängstlichen Menschen wie ihn dazu bringen, einen Mann zu ermorden, den er für heilig hielt, für gottgesandt.
    Antipas ließ zitternd seine Hände sinken, und zum Vorschein kamen gerötete Augen, die wirr flackernd von Pilatus zu Herodias und Jehudah, zu Philipp und endlich zu Salome hetzten. Schließlich stöhnte er: »Ich kann nicht. Ich schaffe es nicht, so sehr ich mich auch anstrenge.«
    Salome atmete erleichtert auf, denn sie interpretierte seine Worte in ihrem Sinn. Er würde Timon und sie in Ruhe lassen. Doch dann rief er aus voller Kehle einen Befehl über den Hof der Festung Masada: »Tötet den Täufer. Sofort.«
    Auf der Stelle machte sich laute Unruhe breit. Das Gefolge diskutierte, applaudierte, äußerte Bedenken, rumorte, stritt; vier Soldaten der Leibwache holten ihre Pferde und saßen auf, wobei Herodias einem von ihnen vorher noch etwas ins Ohr flüsterte; Philipp verließ das Geschehen; Antipas sackte wieder auf seinen Schemel, und sein schwerer Leib zuckte wie unter Krämpfen. »Ich kann dich nicht aufgeben«, jammerte er. »Ich kann nicht.«
    Salome blieb äußerlich ruhig, doch in ihrem Innern tobte ein Orkan von Gefühlen. Kaum verstand sie, was soeben vorgefallen war. Aus dem Tumult hallten Worte über den Hof, die sie eine Mörderin schimpften, eine sittenlose Hure, eine Gotteslästerin; sie begriff dies ebenso wenig wie die Dankesworte, die Herodias ihr im Vorbeigehen zuraunte. So stand sie da, zehn, zwanzig, dreißig Atemzüge lang. Sie hätte ihren Wunsch zurücknehmen können, doch sie tat es nicht. Sie tat überhaupt nichts.
    Ihre ganze Hoffnung hatte sie in diesen Tanz gesteckt, ihre ganze Würde als Prinzessin und Fürstin verleugnet, ihre Scham ignoriert, nur um von dem übelsten Charakter ganz Judäas einen Gefallen zu erbitten. Sie hatte Timons Leben retten wollen, doch stattdessen einem anderen das Leben genommen.
    Salome verließ den Hof und eilte an Timons Bett. Ihr Geliebter schlief noch immer, wusste von nichts. Sie war allein, einsam wie nie. Nach der heutigen Nacht würde sie auch die letzten Menschen verlieren, die sich um sie sorgten, die ihr Wärme und Schutz gaben. Timon würde nicht länger in Basan bleiben können, es war zu gefährlich angesichts der Bedrohung durch Antipas. Und sie, was sollte sie machen? Zurückbleiben? Philipp verlassen? Er würde sich ohnehin von ihr abwenden, denn heute war ihm zu viel zugemutet worden. Seine Frau hatte nackt vor einem grölenden Hofstaat gestanden und den Tod eines Propheten verlangt. Sie hatte sich unmöglich gemacht. Aber das Land verlassen, ihre Stellung aufgeben, ihre letzten Bindungen lösen und sich an Timon klammern? Wo wäre da ihr Platz, wo ihre Aufgabe? Sie gehörte nicht mehr nach Basan, an die Seite eines würdevollen Fürsten wie Philipp, ja, sie gehörte nicht einmal mehr zu diesem Volk. Sie gehörte auch nirgendwo anders hin. Sie war allein.
    Salome wusste nicht, wie viel Zeit verging, während sie an Timons Bett saß und seinem ruhigen Schlaf zusah. Irgendwann näherte sich Hufgeklapper, und sie ging zum Fenster und sah in den Hof. Es war noch immer Nacht. Nur fern am Horizont, über den Bergen östlich des Salzmeeres, kündete ein schmaler rötlicher Streif vom nahenden Morgen. Die Luft war kühl; Salome sah ihren Atem, als sie sich aus dem Fenster beugte. Antipas saß noch immer auf

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